Die Kleinen lässt man hängen, die Großen lässt man laufen

In weiten Teilen der Bevölkerung sind die jüngst bekannt gewordenen Bagatell-Kündigungen auf Unverständnis, Ablehnung und Protest gestoßen.

Der Sachbereichausschuss Grundsatzfragen der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Diözesanverband Freiburg verlangt die Verbesserung des gesetzlichen Kündigungsschutzes bei Bagatelldelikten.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Voraussetzungen für arbeitsrechtliche Kündigungen wegen Bagatelldelikten klarer zu fassen und damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Sicherheit zu gewährleisten. So darf bei Delikten mit nur geringem wirtschaftlichem Schaden – so die Forderung der KAB – beim ersten Mal in der Regel nur eine Abmahnung ausgesprochen werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss auch durch die Arbeitsgerichte sorgfältiger beachtet bzw. geprüft werden, damit es bei erstmaligen Vorfällen nicht gleich zu fristlosen Kündigungen, sondern zu weniger einschneidenden Maßnahmen wie etwa Abmahnungen kommt.

Die zum Beispiel im sog. Maultaschenfall in Konstanz des Arbeitsgerichts Lörrach Kammer Radolfzell praktizierte Rechtsprechung ist der Bevölkerung nicht vermittelbar, sie verstößt gegen das Gerechtigkeitsempfinden von breiten Bevölkerungsschichten. Es entsteht hier der Eindruck, die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen, so der stv. Vorsitzende des Sachbereichsausschuss Grundsatzfragen Michael Wirlitsch, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Laut Urteil von 16.10.2009, Seite 6 (4 Ca 248/09) bat auch der Personalrat trotz des Diebstahls, um den es sich hier handle, insbesondere um Wahrung der Verhältnismäßigkeit, mahnte den christlichen Gesichtspunkt der Vergebung an und verwies auf die Möglichkeit einer schriftlichen Abmahnung.“

In anderen Rechtsgebieten, so der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Michael Wirlitsch, kommen die Gerichte bei vergleichbaren Fragen zu einer lebensnäheren und differenzierteren Beurteilung als die deutschen Arbeitsgerichte in ihrer überwiegenden Mehrheit. So werden im Strafrecht Verfahren unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze von ca. 50 EUR idR gem. § 248a StGB eingestellt. Im Soldaten- oder Beamtenrecht werden bei Disziplinarmaßnahmen der Wert einer Sache mildernd berücksichtigt.

Da dort der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sorgfältig angewendet wird, führt der Diebstahl geringwertiger Sachen idR nicht zur Entlassung aus dem Beamten- bzw. Soldatenverhältnis. Die allg. Zivilgerichte, die z.B. für Geschäftsführer zuständig sind und wie die Arbeitsgerichte ebenfalls den § 626 BGB anwenden, kommen gar nicht auf die Idee, wegen einer Bagatelle von 6 Maultaschen oder wegen des Frankierens von privater Post des Geschäftsführers auf Kosten seines Arbeitgebers eine fristlose Kündigung abzunicken, so Michael Wirlitsch.

Die wenigen veröffentlichten zivilrechtlichen Verfahren beschäftigen sich dann mit der Frage, ob etwa 260 EUR noch geringfügig sind. Deshalb fordert der KAB-Ausschuss: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen nicht schlechter gestellt werden als Beamte, Soldaten oder Geschäftsführer einer GmbH bei Bagatelldelikten. Rechtsanwalt Wirlitsch stellt jedoch auch klar, dass der Unrechtsgehalt des Handelns des Arbeitnehmers bei den sog. Bagatelldelikten, wenn z. B. 6 Maultaschen unterschlagen werden, nicht in Frage gestellt wird.

Das Fehlverhalten der Beschäftigten soll in diesen Fällen weder verharmlost noch soll ein solches Verhalten legalisiert, sondern es sollen unverhältnismäßige faktische Bestrafungen durch das Arbeitsrecht von langjährig teilweise Jahrzehnten beanstandungslos Beschäftigten, so Rechtsanwalt Wirlitsch, verhindert werden. Nachdem die Mehrzahl der Arbeitsgerichte die Verhältnismäßig bei Bagatelldelikten nicht mit der notwendigen Umsicht prüfen, ist nunmehr der Gesetzgeber aufgefordert, die Voraussetzungen für Kündigungen wegen Bagatelldelikten klarer zu fassen und damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Sicherheit zu gewährleisten.

Michael Wirlitsch, Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses 22.03.2010
Otto Meier

Quelle: KAB