Paparazzi

Sind Arbeitnehmer potentielle Straftäter? BAG sagt: Nein!

Eine Sekretärin meldet sich krank – ihr Chef glaubt ihr nicht und beauftragt einen Detektiv, der die Arbeitnehmerin heimlich filmt.

Wann darf der Geschäftsführer seine Chef-Sekretärin filmen lassen?

 

1. Kommt das Ausspionieren von Arbeitnehmern in der Praxis häufiger vor?

Nach unserer Erfahrung kommt das Ausspionieren von Arbeitnehmern in der Praxis relativ  häufig vor. Insbesondere beim Verdacht auf vorgetäuschte Krankheit, Alkoholsucht oder zur Kontrolle von Außendienstmitarbeitern schicken Unternehmen immer wieder Detektive los, um Beweise für den Arbeitgeber zu sichern, auf die dieser z.B. eine Kündigung stützen kann.

 

2. Welchen Sachverhalt hat das BAG entschieden?

Eine Chef-Sekretärin meldet sich krank, doch ihr Chef glaubt ihr nicht. Der Arbeitgeber beauftragt einen Detektiv, der die Chefsekretärin an vier Tagen verdeckt überwacht und dabei u.a. mehrere Videosequenzen aufzeichnet. Die Videosequenzen zeigen die Chef-Sekretärin im Zugangsbereich ihrer Wohnung und in einem Waschsalon.

Laut Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts war die Chefsekretärin zunächst wegen einer Bronchialerkrankung krankgeschrieben. Sie legte insgesamt sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zunächst vier eines Facharzt für Allgemeinmedizin, dann zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Chef bezweifelte den zuletzt von der Chefsekretärin telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Chefsekretärin.

Auf dessen Beobachtungen stützte der Arbeitgeber schließlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Chef-Sekretärin klagte gegen die Kündigung und begehrte Schmerzensgeld wegen des Eingriffs in ihre Persönlichkeitsrechte.

 

3. Wie entschieden und argumentierten die Arbeitsgerichte?

Die Kündigung selbst sahen alle drei Instanzen als unwirksam an. Was den Schmerzensgeldanspruch anging, hatte das Arbeitsgericht Münster allerdings in I. Instanz noch angenommen, dass der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der gekündigten Chef-Sekretärin nicht so gravierend war, dass dies den geltend gemachten Anspruch auf Schmerzensgeld rechtfertigt. Die Beobachtung sei im öffentlichen Raum erfolgt und verletze weder die Privat- noch die Intimsphäre der Klägerin. Nach Ansicht sowohl der II. als auch der III. Instanz waren die heimlichen Aufnahmen jedoch rechtswidrig. Der Chef habe keinen berechtigten Anlass zur Überwachung gehabt, so die Arbeitsgerichte.

Nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG vom 19.02.2015; Az. 8 AZR 1007/13)  und auch der Vorinstanz (LAG Hamm, Urteil vom 11.7.2013 –11 Sa 312/13) ergibt sich die Rechtswidrigkeit der angeordneten Videoüberwachung durch den Detektiv nicht bereits aus der Heimlichkeit der Aufzeichnung, sondern aus § 32 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).

Gemäß § 32 Abs. 1 BDSG ist die Aufzeichnung personenbezogener Daten – und hierzu zählt die Anfertigung von Fotos oder Videoaufzeichnungen-  nur dann zulässig, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Geht es um die Aufdeckung von Straftaten, müssen tatsächliche Anhaltspunkte existieren, dass der Beschäftigte im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat. Die Gerichte haben hier entschieden, dass ohne das Vorliegen konkreter Verdachtsmomente keine Überwachung erfolgen darf.

Die Tatsache, dass die Chef-Sekretärin nach vier Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ihres Hausarztes zwei weitere einer Orthopädin vorlegte, begründe nicht einen solchen Verdachtsmoment. Nach Meinung der Gerichte ist dies kein ungewöhnlicher Verlauf, der Zweifel am tatsächlichen Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit begründet. Anders wäre es z.B. bei einer Häufung kurzfristiger Krankschreibungen durch verschiedene Ärzte („Ärztehopping“).

Ein dringender Verdacht, dass die Chef-Sekretärin die Arbeitsunfähigkeit nur vortäuschte, lag also nach Ansicht der Gerichte nicht vor. Zudem handelt es sich bei heimlichen Videoaufzeichnungen um einen sehr starken Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmerin. Die Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers an der Aufklärung und den Interessen der Arbeitnehmerin am Schutz ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergab daher, dass die heimliche Beobachtung durch den Detektiv sowie die Fotos und Videoaufzeichnungen rechtswidrig waren.

 

4. Wie kann sich ein Arbeitnehmer gegen das Ausspionieren wehren?

Der Arbeitnehmer kann zum einen – wenn er die Beobachtung überhaupt bemerkt- einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Zum anderen kann er Schmerzensgeld wegen der rechtswidrigen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verlangen. Die ehemalige Chefsekretärin hatte, weil sie sich nach den Beobachtungen durch den Detektiv verfolgt fühlte, erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten, die ärztlicher Behandlung bedurften. Der Arbeitgeber ist zur Zahlung einer Entschädigung von EUR 1.000,00 wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verurteilt worden. Verlangt hatte die Arbeitnehmerin allerdings einen Betrag von EUR 10.500,00.

 

5. Wann darf der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer filmen lassen?

  • Erstens muss ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers bestehen,
  • zweitens dürfen keine milderen Mittel zur Aufklärung des Verdachts zur Verfügung stehen,
  • und drittens dürfen die heimlichen Maßnahmen insgesamt nicht unverhältnismäßig sein (vergl. hierzu auch BAG, NZA 2012, 1025).

Rechtliche Grundlage für die Zulässigkeit und Videoaufzeichnung ist § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Diese sind nur zur Aufdeckung von Straftaten zulässig. Bei der Abwägung ist insbesondere die Dringlichkeit des Tatverdachts und die Höhe des Schadens gegen die Intensität der Überwachungsmaßnahmen abzuwägen.

kanzlei@wirlitsch-arbeitsrecht.de

Michael D. Wirlitsch Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, M.A.E.S. (Univ. Basel) Lehrbeauftragter an der Universität Konstanz, Arbeitsrecht für Geisteswissenschaftler; Mitkommentator des Landespersonalvertretungsrecht für Baden Württemberg, 3. Auflage 2016