Whistleblowing im Arbeitsrecht Whistleblower durch EU-weite Mindeststandards besser geschützt

Arbeitnehmer in Deutschland brauchen Mut Missstände im

Betrieb aufzudecken oder anzusprechen

RA und FaArbR Michael D. Wirlitsch, M.A.E.S. (Univ. Basel)

Whistleblowing im Arbeitsrecht bleibt eine Gradwanderung

Whistleblower sollen jetzt durch EU-weite Mindeststandards besser geschützt werden

Wer Dinge innerhalb seines Betriebs offen anspricht oder darüber hinaus Interna an Externe und Medien weitergibt, der kann in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit mit arbeitsrechtlichen Sanktionen oder einem Ermittlungsverfahren rechnen.

Wie schwierig es aber im Arbeitsleben ist, Missstände im eigenen Unternehmen aufzudecken, müssen die Hinweisgeber – auf Englisch „Whistleblower“ – immer wieder erfahren.

Personalmangel bei der Fachklinik Asklepios – besser nicht intern ansprechen?

Selbst wer nur intern eine Gefährdungsanzeige erstattet, um auf eine Gefahr am Arbeitsplatz hinzuweisen, muss mit Sanktionen rechnen. Dies wurde einer Pflegerin bei den Asklepios Fachklink zum Verhängnis.

Die Pflegerin hatte den Personalmangel in ihrer Fachklinik ihrem Arbeitgeber mitgeteilt. Asklepios antwortete mit einer Abmahnung. Diese wiederum hielt das Arbeitsgericht Göttingen für unberechtigt. Mit der Überlastungsanzeige habe die Krankenpflegerin schließlich auch Schaden von dem Unternehmen abwenden wollen, so das Gericht. Weil sich keine Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch durch die Frau ergaben, musste Asklepios die Abmahnung aus der Personalakte der Frau entfernen.

 

Mängel besser gleich in der Öffentlichkeit ansprechen?

Manche Personen erlangen große Berühmtheit in der Öffentlichkeit wie z.B. Julian Assange; die öffentliche Bekanntheit kann auch ein Schutz darstellen.

Andere bleiben aus Selbstschutz, im Dunkeln und werden von den veröffentlichenden Medien gedeckt.

Öffentlichkeit kann schützen, wenn die Enthüllung große Aufmerksamkeit nach sich zieht und deswegen z. B. das Management, um nicht einen weiteren Imageschaden zu riskieren, nicht gegen den enthüllenden Mitarbeiter offen. Aber nicht jeder erhält diese öffentliche Aufmerksamkeit, wodurch Whistleblower ohne größere Unterstützung der Verfolgung ausgesetzt sind. Befürworter des Whistleblowings sehen zur Eindämmung von Korruption und zur verantwortungsvollen Sicherung des sozialen Friedens Whistleblower-Schutzgesetze deswegen als dringend notwendig an.

 

Brauchen wir in Deutschland einen gesetzlichen Schutz?

In Reaktion auf den Fall Heinisch, auch eine Pflegekraft die „gefährliche Pflege“ öffentlich machte,  wird diskutiert, ob in Deutschland eine ausdrückliche gesetzliche Normierung für sog. „Whistleblower“ notwendig ist. Bisher blieben alle dahingehenden Gesetzesinitiativen erfolglos. Für eine Normierung spricht, dass mehr Rechtssicherheit bestünde.  Ein Whistleblower geht ein hohes persönliches Risiko ein, schlimmstenfalls eine fristlose Kündigung. In einigen Fällen ist der Schritt an die Öffentlichkeit aber das einzige Mittel, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

 

Was plant die EU für Whistleblower?

Die EU-Kommission, hat im April 2018 einen Vorschlag gemacht, Whistleblower durch EU-weite Mindeststandards besser zu schützen.  Der Schutz von Hinweisgebern, die das Risiko auf sich nehmen und schwere Verstöße gegen das EU-Recht aufdecken, würde auch zum Schutz der Meinungs- und Medienfreiheit beitragen und wäre für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in Deutschland von wesentlicher Bedeutung. Es sollen Hinweisgeber bei Meldungen über Verstöße gegen das EU-Recht in bestimmten Bereichen geschützt sein.

vgl.https://ec.europa.eu/germany/news/whistleblower20180423_de; http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2018/DE/COM-2018-218-F1-DE-MAIN-PART-1.PDF.

 

Welche Vorgaben macht die Rechtsprechung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, damit Whistleblower rechtssicherer handeln können?

Durch die Rechtsprechung des EMRK gibt es Maßstäbe, die das Thema greifbar machen. So könnte auch durch EMRK- und unionsrechtskonforme (vgl. Art. 11 GrCh) Auslegung der Problematik begegnet werden.[1]

Trotz der Unsicherheiten lassen einige Anhaltspunkte festhalten:

  • In jedem Fall ist der Gang an die Öffentlichkeit als „ultima ratio“ anzusehen.[2]

Der EGMR stellt im Fall Heinisch Kriterien auf, die vom „Whistleblower“ zu beachten sind.

  • Zunächst muss der Arbeitnehmer die Information betriebsintern an die zuständige Stelle weiterleiten. Es müssen alle wirksamen internen Maßnahmen ausgeschöpft werden.
  • Außerdem muss ein öffentliches Interesse an der Information bestehen.
  • Die Information selbst muss fundiert sein und die Weitergabe muss in dem guten Glauben an das öffentliche Interesse an der Information erfolgen. Eine Veröffentlichung aus reiner Feindseligkeit würde dem entgegenstehen.
  • Darüber hinaus muss das öffentliche Interesse den Schaden überwiegen, der dem Arbeitgeber durch die Enthüllung entsteht. [3]

Diese Anforderungen sind hinreichend konkret für die Praxis und vermögen das Fehlen eines Gesetzes bis auf Weiteres auszugleichen.

 

Fazit:

Bis die EU-Kommission die EU-Mindeststandards umgesetzt hat, hilft die vorhandene Rechtsprechung weiter.

Gleichwohl ist zu beachten, dass jeder Fall anders ist.

Deshalb sollte vor einem Gang in die Öffentlichkeit sorgfältig die Risiken abgewogen werden. Rechtlicher Beistand ist hier absolut unverzichtbar, um vorhandene Risiken zu minimieren.

[1]              Schmitt, RdA 2017, 371, 373.

[2]              EGMR v. 21. 7. 11 – 28274/08 –, NZA 11, 1271, Schmitt, RdA 2017, 366.

[3]              Zu den Kriterien: EGMR v. 21. 7. 11 – 28274/08 –, NZA 11, 1271.

kanzlei@wirlitsch-arbeitsrecht.de

Michael D. Wirlitsch Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, M.A.E.S. (Univ. Basel) Lehrbeauftragter an der Universität Konstanz, Arbeitsrecht für Geisteswissenschaftler; Mitkommentator des Landespersonalvertretungsrecht für Baden Württemberg, 3. Auflage 2016