Entgeltfortzahlung im Arbeitsrecht: Ihr Anspruch auf Lohn bei Krankheit & Co. | Wirlitsch – Kanzlei für Arbeitsrecht

Entgeltfortzahlung im Arbeitsrecht: Ihr Anspruch auf Lohn bei Krankheit & Co.

Die Entgeltfortzahlung sichert Ihr Einkommen, wenn Sie unverschuldet nicht arbeiten können. Am bekanntesten ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, doch das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) und andere Vorschriften regeln weitere Konstellationen wie Feiertage oder medizinische Vorsorge. Die rechtlichen Regelungen sind komplex und mit zahlreichen Pflichten für Arbeitnehmer verbunden. Eine genaue Kenntnis Ihrer Rechte ist essenziell, um finanzielle Nachteile zu vermeiden und Ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber vollständig durchzusetzen. Dieser Artikel gibt Ihnen einen umfassenden Überblick.


Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EFZG)

Der zentrale Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts ergibt sich aus § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG), wenn Sie infolge von Krankheit arbeitsunfähig sind.

Voraussetzungen des Anspruchs

Damit der Anspruch entsteht, müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Bestehen eines Arbeitsverhältnisses: Sie müssen sich in einem gültigen Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis befinden.
  • Erfüllung der Wartezeit: Das Arbeitsverhältnis muss seit mindestens vier Wochen ununterbrochen bestehen (§ 3 Abs. 3 EFZG). Vor Ablauf dieser Wartezeit besteht in der Regel ein Anspruch auf Krankengeld von der gesetzlichen Krankenkasse.
  • Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit: Die Krankheit muss die alleinige Ursache für die Arbeitsunfähigkeit sein. Eine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn Sie Ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht oder nur unter der Gefahr erbringen können, Ihren Gesundheitszustand zu verschlimmern.
  • Kein schuldhaftes Verursachen der Arbeitsunfähigkeit: Die Arbeitsunfähigkeit darf nicht von Ihnen verschuldet sein. Ein Verschulden liegt nur bei einem groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten vor. Normale Sportverletzungen oder unverschuldete Verkehrsunfälle begründen in der Regel kein Verschulden. Anders kann es bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten (z. B. Fahren unter Alkoholeinfluss, Teilnahme an einer Schlägerei) oder der Ausübung besonders gefährlicher Sportarten ohne entsprechende Vorkehrungen aussehen.

Dauer des Anspruchs

  • Grundsatz: Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, längstens jedoch für sechs Wochen bzw. 42 Kalendertage (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG).
  • Fortsetzungserkrankung (§ 3 Abs. 1 S. 2 EFZG): Beruht eine erneute Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit (Grundleiden), wird die Dauer der vorherigen Arbeitsunfähigkeit angerechnet. Ein neuer sechswöchiger Anspruch entsteht nur, wenn
    • seit dem Ende der letzten Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit mindestens sechs Monate vergangen sind oder
    • seit dem Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.
  • Hinzutreten einer neuen Erkrankung: Tritt während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue, unabhängige Erkrankung hinzu, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt, verlängert dies nicht den ursprünglichen Sechs-Wochen-Zeitraum. Endet jedoch die erste Erkrankung und Sie sind aufgrund einer neuen Krankheit weiterhin arbeitsunfähig, beginnt ein neuer Anspruchszeitraum von bis zu sechs Wochen.

Höhe und Berechnung des Anspruchs (§ 4 EFZG)

  • Entgeltausfallprinzip: Ihnen ist das Arbeitsentgelt fortzuzahlen, das Sie ohne die Arbeitsunfähigkeit erzielt hätten. Es handelt sich also nicht um eine pauschale Leistung, sondern um eine Kompensation des konkret ausgefallenen Lohns.
  • Berechnungsgrundlage: In die Berechnung fließen alle laufenden Vergütungsbestandteile ein, die Sie im maßgeblichen Referenzzeitraum erhalten haben. Dazu gehören nicht nur das Grundgehalt, sondern auch variable Bestandteile wie Provisionen, Leistungszulagen, Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge sowie Sachbezüge. Überstunden werden berücksichtigt, wenn sie im Referenzzeitraum regelmäßig angefallen sind und auch während der Krankheit angefallen wären.
  • Kürzung von Sondervergütungen (§ 4a EFZG): Sondervergütungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld können vom Arbeitgeber für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit um einen bestimmten Betrag gekürzt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass eine solche Kürzungsmöglichkeit im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag explizit vereinbart ist. Die Kürzung darf pro Krankheitstag ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten.

Anzeige- und Nachweispflichten (§ 5 EFZG)

Die Verletzung dieser Pflichten kann Ihr Recht auf Entgeltfortzahlung gefährden.

  • Anzeigepflicht: Sie sind verpflichtet, Ihrem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. "Unverzüglich" bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, also in der Regel am ersten Tag der Erkrankung vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn. Die Form der Mitteilung (Telefon, E-Mail) ist nicht vorgeschrieben, sollte aber nachweisbar sein.
  • Nachweispflicht: Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, müssen Sie spätestens am darauffolgenden Arbeitstag eine ärztliche Bescheinigung (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, AU) vorlegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der AU bereits ab dem ersten Tag der Krankheit zu verlangen.
  • Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU): Seit 2023 wird die AU von Vertragsärzten in der Regel digital an die Krankenkassen übermittelt. Der Arbeitgeber ruft die Daten dann elektronisch bei der Krankenkasse ab. Als Arbeitnehmer müssen Sie sich vom Arzt weiterhin eine Papierbescheinigung für Ihre Unterlagen geben lassen und Ihren Arbeitgeber über die festgestellte Arbeitsunfähigkeit informieren. Die Pflicht zur Vorlage des "gelben Scheins" entfällt jedoch für gesetzlich Versicherte.
  • Erkrankung im Ausland: Bei einer Erkrankung im Ausland müssen Sie dem Arbeitgeber und Ihrer Krankenkasse auf dem schnellstmöglichen Weg die Arbeitsunfähigkeit, deren voraussichtliche Dauer sowie Ihre Adresse am Aufenthaltsort mitteilen.

Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers (§ 7 EFZG)

Der Arbeitgeber kann die Entgeltfortzahlung verweigern, wenn Sie Ihre Anzeige- oder Nachweispflichten schuldhaft verletzen. Dieses Recht besteht jedoch nur so lange, bis die Pflicht erfüllt wird; der Anspruch lebt dann wieder auf.

Zudem kann der Arbeitgeber die Zahlung verweigern, wenn ernsthafte, begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Obwohl die AU-Bescheinigung einen hohen Beweiswert hat, ist dieser nicht unerschütterlich. Bei begründeten Zweifeln (z.B. Krankmeldung nach angekündigter Kündigung oder nach verweigertem Urlaub) kann der Arbeitgeber den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einschalten, um ein Gutachten erstellen zu lassen.

Entgeltfortzahlung an Feiertagen (§ 2 EFZG)

Fällt die Arbeit allein aufgrund eines gesetzlichen Feiertages aus, haben Sie Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des Lohns, den Sie ohne den Feiertag erhalten hätten. Voraussetzung ist die Kausalität: Die Arbeit muss wegen des Feiertags ausgefallen sein. Wer an dem betreffenden Tag ohnehin frei gehabt hätte (z.B. im Teilzeitmodell), hat keinen Anspruch.

Weitere Ansprüche auf Entgeltfortzahlung

  • Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation (§ 9 EFZG): Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zu sechs Wochen besteht auch für die Dauer einer von einem Sozialleistungsträger (z. B. Krankenkasse, Rentenversicherung) bewilligten medizinischen Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme.
  • Organspende (§ 3a EFZG): Wenn Sie infolge einer Spende von Organen, Geweben oder Blut zur Transfusion arbeitsunfähig werden, haben Sie ebenfalls Anspruch auf Entgeltfortzahlung für bis zu sechs Wochen.

Sonderkonstellationen

  • Anspruch bei Kündigung (§ 8 EFZG): Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung wird durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht berührt. Wenn Sie vor oder nach einer Kündigung arbeitsunfähig erkranken, zahlt der Arbeitgeber das Entgelt bis zur Höchstdauer von sechs Wochen fort, auch wenn das Arbeitsverhältnis währenddessen endet.
  • Übergang von Schadensersatzansprüchen (§ 6 EFZG): Wurde Ihre Arbeitsunfähigkeit von einem Dritten verschuldet (z. B. bei einem Verkehrsunfall), geht Ihr Schadensersatzanspruch gegen diesen Dritten in Höhe des fortgezahlten Entgelts auf den Arbeitgeber über (gesetzlicher Forderungsübergang, cessio legis).
  • Einfluss von Kurzarbeit: Erkranken Sie während der Kurzarbeit, richtet sich die Höhe der Entgeltfortzahlung nach dem Anspruch auf Kurzarbeitergeld, den Sie bei Arbeitsfähigkeit gehabt hätten. Sie erhalten also Krankengeld in Höhe des Kurzarbeitergeldes, das von der Bundesagentur für Arbeit erstattet wird.

Abgrenzung zu anderen Lohnersatzleistungen

  • Vergütung bei persönlicher Verhinderung (§ 616 BGB): Dieser Anspruch besteht, wenn Sie für eine "verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" aus persönlichen, unverschuldeten Gründen an der Arbeitsleistung verhindert sind. Anwendungsfälle sind z.B. die Pflege eines akut erkrankten nahen Angehörigen (oft nur 1-2 Tage), die eigene Hochzeit oder ein unaufschiebbarer Arztbesuch. Wichtig: Der Anspruch aus § 616 BGB kann durch Arbeits- oder Tarifvertrag eingeschränkt oder vollständig ausgeschlossen werden, was in der Praxis häufig der Fall ist.
  • Krankengeld nach Ablauf der Entgeltfortzahlung (§§ 44 ff. SGB V): Endet der sechswöchige Anspruch auf Entgeltfortzahlung, leistet die gesetzliche Krankenkasse bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit Krankengeld. Dieses beträgt in der Regel 70 % des Brutto-, aber nicht mehr als 90 % des Nettoentgelts.
  • Mutterschutzlohn und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (MuSchG): Diese Leistungen nach dem Mutterschutzgesetz sind von der Entgeltfortzahlung bei Krankheit zu unterscheiden. Sie sichern das Einkommen bei ärztlich attestierten individuellen Beschäftigungsverboten während der Schwangerschaft oder während der gesetzlichen Schutzfristen vor und nach der Geburt.

Fazit

Die Regelungen zur Entgeltfortzahlung sind vielschichtig und mit zahlreichen Fristen und Pflichten verbunden. Insbesondere bei Fortsetzungserkrankungen, Kündigungen oder Kürzungen von Sonderzahlungen kommt es häufig zu Streitigkeiten. Um finanzielle Nachteile zu vermeiden und Ihre Ansprüche vollständig durchzusetzen, ist eine frühzeitige fachanwaltliche Beratung unerlässlich. Wir prüfen Ihren individuellen Fall und sichern Ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber.

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