Stellen Sie sich vor: Ihr Arbeitgeber kündigt Ihnen, doch die Kündigung ist unwirksam. Eigentlich müssten Sie weiterarbeiten. Aber was, wenn die Beziehung zu Ihrem Chef oder Ihren Kollegen so stark gelitten hat, dass Sie gar nicht mehr zurückwollen? Oder umgekehrt, wenn Ihr Arbeitgeber Sie nicht mehr beschäftigen kann, weil das Vertrauen unwiederbringlich zerstört ist?
Genau hier bieten das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und insbesondere die §§ 9 und 10 KSchG einen Ausweg aus diesem Dilemma. Sie ermöglichen eine Trennung, auch wenn die Kündigung eigentlich unwirksam war – und regeln dabei die Zahlung einer Abfindung.
I. Wenn das Arbeitsverhältnis nicht mehr zumutbar ist: Die gerichtliche Auflösung nach § 9 KSchG
Das Kündigungsschutzgesetz schützt Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Kündigungen. Wenn ein Gericht feststellt, dass eine Kündigung unwirksam war – etwa weil sie sozial ungerechtfertigt war oder Formfehler hatte – dann endet Ihr Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht. Sie hätten ein Recht auf Weiterbeschäftigung.
Doch es gibt Situationen, in denen eine weitere Zusammenarbeit für eine der Parteien unzumutbar geworden ist. In solchen Fällen kann das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis per Urteil auflösen. Ein Antrag auf diese gerichtliche Auflösung kann von beiden Seiten kommen:
- Der Arbeitnehmer beantragt die Auflösung: Dies ist möglich, wenn Ihnen, dem Arbeitnehmer, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das mag der Fall sein, wenn das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber massiv gestört ist, Sie bereits eine neue Arbeitsstelle gefunden haben oder andere unzumutbare Umstände vorliegen.
- Der Arbeitgeber beantragt die Auflösung: Auch der Arbeitgeber kann die Auflösung beantragen, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Hierfür müssen jedoch schwerwiegende Gründe vorliegen, die oft im Verhalten des Arbeitnehmers liegen und eine zukünftige vertrauensvolle Zusammenarbeit undenkbar machen – beispielsweise bei massiven Pflichtverletzungen oder tiefgreifenden Störungen.
II. Die Abfindung als finanzielle Entschädigung: Was § 10 KSchG dazu sagt
Wird das Arbeitsverhältnis vom Gericht aufgelöst, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine angemessene Abfindung (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG). Die Höhe dieser Abfindung ist kein feststehender Betrag, sondern hängt von verschiedenen Faktoren ab:
- der Dauer des Arbeitsverhältnisses,
- Ihrem Lebensalter,
- den wirtschaftlichen Auswirkungen der Beendigung auf Sie und
- den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Grad der Zerrüttung oder des Fehlverhaltens.
§ 10 KSchG definiert dabei, wie der „Monatsverdienst“ zu berechnen ist, der als Grundlage für die Abfindung dient. Es gibt gesetzliche Obergrenzen für die Höhe der Abfindung, die vom Gericht im Einzelfall festgelegt wird.
III. Ein konkreter Fall aus der Praxis: Arbeitsgericht Bonn (Az. 1 Ca 456/24)
Ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 14. November 2025 zeigt exemplarisch, wie diese Regelungen in der Praxis angewendet werden:
Der Sachverhalt: Eine Arbeitnehmerin wehrte sich gegen eine ordentliche Kündigung. Hilfsweise beantragte sie die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Abfindung. Der Grund: Der Geschäftsführer hatte sich ihr gegenüber mehrfach sexistisch, übergriffig und entwürdigend geäußert.
Die Gerichtsentscheidung: Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Kündigung der Arbeitnehmerin sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam war – das Arbeitsverhältnis bestand also eigentlich fort. Doch angesichts des Verhaltens des Geschäftsführers war es der Klägerin nicht zuzumuten, weiterhin für das Unternehmen tätig zu sein.
Deshalb löste das Gericht das Arbeitsverhältnis auf und sprach der Arbeitnehmerin eine Abfindung von 70.000 Euro zu. Die Begründung war eindeutig: Die Persönlichkeitsrechte der Klägerin wurden massiv verletzt. Die Abfindung sollte sowohl die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen als auch eine Wiedergutmachung für die erlittene Herabwürdigung darstellen.
Fazit: Schutz und fairer Ausweg
Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG ist ein sehr wichtiges Instrument im Kündigungsschutzrecht. Sie bietet einen fairen und respektvollen Ausweg aus einer festgefahrenen Situation, in der eine Rückkehr in den Job – trotz eigentlich unwirksamer Kündigung – für eine Partei unzumutbar ist.
Der Fall aus Bonn unterstreicht eindringlich, wie dieses Mittel bei schwerwiegenden persönlichen Verfehlungen des Arbeitgebers genutzt werden kann. Die zugesprochene Abfindung dient dabei nicht nur als wirtschaftlicher Ausgleich, sondern auch als Wiedergutmachung und präventives Signal.
So stärkt die gerichtliche Auflösung in besonderen Fällen den Schutz des Persönlichkeitsrechts und trägt maßgeblich zu einer gerechten Konfliktlösung im Arbeitsrecht bei.