Anspruch einer Krankenschwester, nicht für Nachtschichten eingeteilt zu werden

I. Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Kran­kenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank.

II. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung als Krankenschwester, ohne für Nachtschichten einge­teilt zu werden.

(Urteil BAG vom 09.04.2014, Az.: 10 AZR 637/13, Pressemitteilung 16/14 – bisher nicht im Voll­text veröffentlicht)

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus mit etwa 2000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1993 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig.

Der Arbeitsvertrag schreibt vor, dass sie im Rahmen begründeter Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet sei. Nach einer Be­triebsvereinbarung ist ein gleichmäßiger rotierender Einsatz der Beschäftigten in der Früh-, Spät- und Nachtschicht anzustreben. Die Betriebsvereinbarung sieht aber auch vor, dass individuelle Wünsche bei der Dienstplangestaltung berücksichtigt werden müssen.

Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtschichten zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird und die Medikamente zum Einschlafen führen. Die Klägerin war in der Vergangenheit durchschnittlich 2,2 Mal im Monat in der Nachtschicht eingesetzt worden; seit Beginn ihrer medikamentösen Behandlung war es ihr mehrfach gelungen, den Nachtdienst wegzu­tauschen.

Nachdem zuerst durch den behandelnden Arzt und dann auch durch den Betriebsarzt festgestellt worden war, dass die Klägerin wegen der medikamentösen Behandlung nicht mehr in Nachtschicht arbeiten kann, wurde sie vom Pflegedienstdirektor nach Hause geschickt, da sie für die vertraglich geschuldete Tätigkeit als Krankenschwester im Schichtdienst arbeitsunfähig sei.

Die Klägerin widersprach dem, bot ihre Arbeitskraft als Krankenschwester im Schichtdienst – mit Aus­nahme der Nachtschicht- an und machte den Lohn für die Zeit in der sie nicht beschäftigt wurde, hilfs­weise Schadensersatz geltend.

 Gang des Verfahrens

Das BAG hat mit diesem Urteil die im Ergebnis gleich lautende Entscheidung der I. und II. Instanz (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 30.30.05 2013 5 Sa 78/13) bestätigt.

Wie hat das Gericht die Entscheidung begründet?

Die Krankenschwester sei weder arbeitsunfähig krank, noch sei ihre Arbeitsleistung unmöglich ge­worden. Sie könne – so die Ausführungen des BAG in der Presseerklärung 16/14 – alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Ausübung des Direktionsrechtes gem. § 106 Satz 1 GewO bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Krankenschwester Rücksicht nehmen. Dies sei der Beklagten auch zumutbar.

Die Klägerin verlange keine andere Tätigkeit, sondern nur ein geändertes Zeitfenster für die Ausübung ihrer Tätigkeiten.

Da keine Leistungsunfähigkeit im Sinne von § 297 BGB vorliege, könne der Krankenhausbetreiber im Rahmen des Direktionsrecht ihr auch eine leidensgerechte, vertragsgemäße Arbeit im Schichtdienst mit Ausnahme der Nachtschichten zuweisen.

Was ist überhaupt das Direktionsrecht?

Ist die vom Arbeitnehmer zu erbringende Tätigkeit im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben, so kann gem. § 106 GewO der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Er­messen bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.

Der Arbeitgeber kann also bestimmen, wann, wo und was der Arbeitnehmer zu arbeiten hat – dies allerdings in den Grenzen billigen Ermessens. Dies bedeutet, dass sowohl die Belange des Arbeitge­bers als auch die des Arbeitnehmers berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden müssen.

Im vorliegenden Fall wurde von der Vorinstanz (LAG Berlin-Brandenburg, vgl.o.) zu ihren Gunsten berücksichtigt, dass der Nachtdienst nur einen Teil der vertraglich beschriebenen Tätigkeit ausmachte, dass sie in der Vergangenheit nur verhältnismäßig wenig (durchschnittlich 2,2 Mal im Monat) im Nachtdienst eingesetzt wurde, ihre 29-jährige Betriebszugehörigkeit, die Betriebsvereinbarung, wo­nach individuelle Wünsche – und hierunter waren auch die gesundheitlichen Belange zu zählen- be­rücksichtigt werden mussten, sowie die gesundheitliche Einschränkung als solche. Demgegenüber konnte der Arbeitgeber offenbar keine überzeugenden Gründe vortragen, dass es ihm aus betrieb­lichen Gründen nicht zumutbar sei, die Klägerin unter Aussparung des Nachtdienstes weiter zu be­schäftigen. Als großer Betrieb mit 2000 Mitarbeitern konnte er nicht darlegen, dass andere Mitarbeiter dadurch übermäßig belastet würden. Auch personelle Engpässe in den fraglichen Stationen hat er nicht behauptet.

4. Welche Konsequenz hat das Urteil für Arbeitnehmer?

Das BAG hat durch die Entscheidung deutlich gemacht, dass eine partielle Leistungsunfähigkeit nicht zwingend zur Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf das ganze Arbeitsverhältnis führt. Es besteht also kein Anlass, sich vorschnell krankschreiben zu lassen, obwohl die vertraglich geschuldeten Tätigkeiten teilweise noch ausgeübt werden können. Mit dem behandelnden Arzt sollte genau besprochen werden, ob durch die Erkrankung die gesamte Tätigkeit oder gegebenenfalls nur ein Teil nicht mehr erbracht werden kann.

Arbeitnehmer sollten zukünftig, sofern die Arbeitsleistung zumindest partiell noch erbracht werden kann, schnell und konsequent die Arbeitskraft (mit Ausnahme der gesundheitlichen Defizite) anbieten. Nimmt der Arbeitgeber das Angebot der Arbeitsleistung nicht an, muss er unter Umständen den Ver­zugslohn zahlen.

Hervorzuheben ist allerdings, dass es sich bei der Feststellung, was billigem Ermessen gem. § 106 S. 1 GewO entspricht, immer um eine Einzelfallabwägung handelt. Der Fall hätte auch ganz anders ent­schieden werden können, wenn die Beklagte beispielsweise wegen personeller Engpässe durch den Ausfall der Klägerin anderen Krankenschwestern unzumutbar häufig Nachtdienste hätte zuweisen müssen.

Das Urteil darf daher nicht verallgemeinert werden, sondern muss als Einzelfall betrachtet werden.