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Arbeitszeitflexibilisierung

Arbeitszeitflexibilisierung – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort ist eines der prägendsten Themen der modernen Arbeitswelt. Doch welche Auswirkungen hat sie auf die Erholung der Beschäftigten und welche Rahmenbedingungen sind entscheidend für ein gesundes Gleichgewicht? Aktuelle Erkenntnisse und wichtige Aspekte für die betriebliche Praxis beleuchten wir in diesem Newsletter.

Die Krux mit der Erholung: Betriebliche Organisation im Fokus

Eine aktuelle Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) unterstreicht einen wichtigen Punkt: Nicht die Flexibilität an sich, sondern oft die arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen im Betrieb beeinträchtigen die Erholung. Eine unzureichende Personalbesetzung, häufige Projekt- und Teamarbeit sowie enge Zeitvorgaben stehen in direktem Zusammenhang mit einer schlechteren Regeneration von der Arbeit.

Digitalisierung als Treiber – Flexibilität als Notwendigkeit?

Die fortschreitende Digitalisierung schafft immer mehr Tätigkeiten, die eine flexible Gestaltung von Arbeitszeit und Arbeitsort nicht nur ermöglichen, sondern für eine wachsende Zahl von Beschäftigten zur neuen Normalität machen. Gleichzeitig wird der Ruf nach einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes lauter, oft begründet mit dem zunehmenden internationalen Wettbewerb und dem Wunsch nach stärker individualisierten Kundenbedürfnissen.

Die Vorteile: Mehr Autonomie für Beruf und Privatleben

Richtig umgesetzt, bietet flexible Arbeitszeitgestaltung klare Vorteile:

  • Bessere Vereinbarkeit: Beschäftigte können Beruf und Privatleben individueller aufeinander abstimmen.
  • Positive Effekte: Dies kann sich positiv auf familiäre Belange und die eigene Gesundheit auswirken.
  • Homeoffice & Mobiles Arbeiten: Gerade diese Modelle werden oft mit einer verbesserten Work-Life-Balance und gesteigertem gesundheitlichen Wohlbefinden assoziiert.

Die Risiken: Wenn Flexibilität zur Belastung wird

Doch die Medaille hat zwei Seiten. Flexible Arbeitszeiten können auch zu erheblichen Spannungen führen:

  • Fehlende Erholung: Wenn berufliche Verpflichtungen das Abschalten verhindern.
  • Soziale Isolation: Wenn soziale Beziehungen unter der ständigen Verfügbarkeit leiden.
  • Betreuungsprobleme: Wenn die Kinderbetreuung durch entgrenzte Arbeitszeiten erschwert wird.
  • Überstundenfalle: Erhöhte Arbeitsanforderungen, das Beantworten von E-Mails in der Freizeit oder die Erwartung ständiger Erreichbarkeit begünstigen eine hohe Zahl an Überstunden und erschweren die so wichtige Regeneration.

Voraussetzungen für echte Erholung und die Rolle des Betriebs

Erholung gelingt nur, wenn weder arbeitsbezogene Anforderungen noch die Erwartung, während der Freizeit gestört zu werden, die Regenerationszeit beeinträchtigen. Flexible Arbeitsmodelle können diese Erholung jedoch gefährden, insbesondere wenn Arbeitszeiten übermäßig lang sind und notwendige Ruhepausen zu kurz kommen.

Hier sind Betriebe gefordert: Arbeitsorganisatorische Faktoren wie Personalmangel, projektbasierte Tätigkeiten, intensive Teamarbeit oder enge Deadlines führen häufig zu einem Anstieg der Überstunden. Gezielte betriebliche Maßnahmen sind unerlässlich, um einer Überlastung vorzubeugen.

Schlüsselmaßnahme: Konsequente Arbeitszeiterfassung

Eine zentrale Stellschraube ist die systematische Erfassung der Arbeitszeit. Dies gilt insbesondere im Homeoffice, wo das Risiko für unbezahlte Mehrarbeit besonders hoch ist.

  • Vielfältige Methoden: Die Dokumentation kann von handschriftlichen Aufzeichnungen bis hin zu digitalen, teils GPS-basierten Systemen reichen.
  • Überstunden reduzieren: Eine transparente Zeiterfassung kann dazu beitragen, die Entstehung von Überstunden zu reduzieren und so die Erholungsphasen der Beschäftigten zu sichern.
  • Achtung Falle: Es ist wichtig zu definieren, was zur Arbeitszeit zählt. Oft werten Mitarbeitende nur die tatsächlich produktiv genutzte Zeit, während vorbereitende oder begleitende Tätigkeiten unberücksichtigt bleiben.

Strukturelle Voraussetzungen für gelingende Flexibilität

Flexibel gestaltete Arbeitszeiten setzen eine gut organisierte betriebliche Struktur und vor allem eine ausreichende Personaldecke voraus. Nur so können auch kurzfristige Terminänderungen und unerwartete Anforderungen zuverlässig bewältigt werden, ohne dass die Flexibilität zur Überforderung führt.

 

kanzlei@wirlitsch-arbeitsrecht.de

Michael D. Wirlitsch Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, M.A.E.S. (Univ. Basel) Lehrbeauftragter an der Universität Konstanz, Arbeitsrecht für Geisteswissenschaftler; Mitkommentator des Landespersonalvertretungsrecht für Baden Württemberg, 3. Auflage 2016