Welche Fallgestaltung hatte der EuGH zu entscheiden?
Im Fall „Küküdevici“ (C 555/07) hatte sich der EuGH aus arbeitsrechtlicher Sicht im Wesentlichen mit der Frage zu beschäftigen, ob die Regelung des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung verstößt.
§ 622 Abs. 2 BGB regelt die stufenweise Erhöhung der Kündigungsfristen in Abhängigkeit der Beschäftigungsdauer für die Kündigung auf Arbeitgeberseite. Satz 2 dieser Vorschrift bestimmt dann, dass Beschäftigungszeiten, die vor dem 25. Lebensjahr erbracht worden sind, bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer nicht berücksichtigt werden.
Sachverhalt
Im Ausgangsfall des LAG Düsseldorf wehrte sich eine Arbeitnehmerin (Frau Küküdevici) gegen eine Kündigung, bei welcher der Arbeitgeber lediglich eine Kündigungsfrist von einem Monat zu Grunde gelegt hatte. Die Arbeitnehmerin war bei ihm ab ihrem 18. Lebensjahr über 10 Jahre beschäftigt gewesen. Im Vergleich dazu wäre bei einem Arbeitnehmer, welcher nach seinem 25. Lebensjahr eingestellt worden war, und dieselbe Beschäftigungsdauer nachweisen könnte, eine Frist von 4 Monaten zu beachten gewesen.
Wie argumentiert der EuGH?
Der EuGH war nun der Auffassung, dass eine nationale Regelung, wie diejenige des § 622 Abs 2 S 2 BGB gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, verstößt.
Er stellte fest, dass eine Regelung wie § 622 Abs. 2 BGB eine Ungleichbehandlung wegen des Alters enthalte. Sie sehe in ihrem Satz 2 eine ungünstigere Behandlung für Arbeitnehmer vor, die bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres ihrem Arbeitgeber beschäftigt waren. Sie behandele daher Personen trotz gleicher Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig von ihrem Lebensalter unterschiedlich. Jungen Arbeitnehmern werde trotz mehrjähriger Betriebszugehörigkeit eine stufenweise Verlängerung der Kündigungsfristen versagt.
In einem zweiten Schritt prüfte der EuGH sodann, ob es sich bei der vorliegenden Ungleichbehandlung auch um eine Diskriminierung wegen des Alters im europarechtlichen Sinne handele. Vereinfacht stellt eine Ungleichbehandlung keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Regelung jedenfalls geeignet ist, um dieses Ziel zu erreichen. Das Ziel des deutschen Gesetzgebers sei es im Jahre 1926 gewesen, dem Arbeitgeber eine größere personalwirtschaftliche Flexibilität zu verschaffen, indem die Voraussetzungen einer Entlassung jüngerer Arbeitnehmer verringert werden, denen eine höhere berufliche und persönliche Mobilität zugemutet werden könne.
§ 622 Abs. 2 S. 2 BGB sei jedoch für die Erreichung dieses Zieles nicht geeignet. Er gelte nämlich für alle Arbeitnehmer, welche bei der Einstellung noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hatten, unabhängig davon, wie alt sie im Zeitpunkt der Entlassung seien. Ferner treffe diese Regelung auch junge Arbeitnehmer ungleich, da sie diejenigen, die ohne oder nach lediglich kurzer Berufsausbildung eine Beschäftigung aufnehmen, umfasse, hingegen Personen, welche erst ab einem Lebensalter von 25 Jahren eine Beschäftigung aufnehmen nicht betreffe.
Welche Auswirkungen gibt es für die Praxis?
1. § 622 II S.2 BGB darf nicht mehr angewendet werden
Im Ergebnis wird nun die Konsequenz für die Arbeitnehmerin im Ausgangsfall sein, dass § 622 Abs. 2 S. 2 BGB unangewendet bleiben muss und deshalb für den Arbeitgeber auf Grund der Beschäftigungsdauer von über 10 Jahren eine Kündigungsfrist von 4 Monaten zu beachten gewesen wäre.
2. Längere Kündigungsfristen für jüngere Arbeitnehmer
Diese Entscheidung des EuGH führt zu einer Verbesserung der Position der Arbeitnehmer, welche schon in jungen Jahren eine Beschäftigung bei ihrem Arbeitgeber aufgenommen hatten. Während bisher Arbeitnehmer, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten auf die gesetzliche Mindestkündigungsfrist von lediglich 4 Wochen verwiesen wurden, kann nun jeder Arbeitnehmer unabhängig von seinem Lebensalter in den Genuss der Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 S. 1 BGB gelangen, wenn er nur lange genug bei dem Arbeitgeber beschäftigt war.
3. Gegebenenfalls längere Kündigungsfristen für ältere Arbeitnehmer
Ferner profitieren auch ältere Arbeitnehmer von dieser Entscheidung, sofern sie bereits vor ihrem 25. Lebensjahr bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt gewesen waren. Denn nun werden auch diese Zeiten bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer berücksichtigt, so dass sich daraus eine längere Kündigungsfrist ergeben kann.
4. Stärkere Verhandlungsposition von Arbeitnehmern bei Abfindungen
Eine Verlängerung der Kündigungsfristen führt dann auch bei Verhandlungen über eine Abfindung zu einer stärken Verhandlungsposition der Arbeitnehmer, da eine längere Kündigungsfrist für den Arbeitgeber risikoerhöhend wirkt, weil er für einen längeren Zeitraum – sofern man von einer unwirksamen Kündigung ausgeht – Lohn bezahlen müsste.
Autor: Rechtsanwalt Stephan Krüger