Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten

Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden.
Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.
 
1. Sachverhalt
 
Vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat eine bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien auf eine nachträgliche Vergütung ihrer im Jahr 2015 erbrachten Arbeitsleistung geklagt. Die Klägerin war seit April 2015 bei der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, als Sozialassistentin beschäftigt. In ihrem Arbeitsvertrag wurde eine Arbeitszeit von 30 Wochenstunden vereinbart. Im Rahmen dieses Vertrags wurde die Klägerin nach Berlin entsandt, um dort eine über 90-jährige zu betreuen. Die Betreuung erfolgte auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags zwischen der zu betreuenden Person und dem bulgarischen Unternehmen. Zu den Aufgaben der Klägerin zählten Haushaltstätigkeiten (Bsp.: Putzen), eine „Grundversorgung“ (Bsp.: Hilfe bei der Hygiene) und soziale Tätigkeiten (Bsp.: Gesellschaft leisten).

 

Im Gegenzug erhielt sie eine Nettovergütung von 950,00 € monatlich und durfte in der Wohnung der zu Betreuenden ein Zimmer bewohnen. Mit ihrer im August 2018 erhobenen Klage verlangte die Klägerin weitere Vergütung i.H.v. 42.636,00 € brutto abzüglich erhaltener 6.680,00 € netto nebst Prozesszinsen – unter Berufung auf das Mindestlohngesetz (MiLoG). Sie machte geltend, dass sie 24 Stunden gearbeitet habe oder in Bereitschaft gewesen sei.

 

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage überwiegend entsprochen und ist im Wege einer Schätzung von einer Arbeitszeit von 21 Stunden kalendertäglich ausgegangen (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.8.2020, 21 Sa 1900/19). Das BAG hat die rechtlichen Annahmen des LAG zwar weitestgehend bestätigt, dass Urteil aber dennoch aufgehoben, da es für die Annahme von 21 Arbeitsstunden am Tag bislang an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten fehle (BAG, Urt. v. 24.06.2021 – 5 AZR 505/20). Gemäß der Pressemitteilung Nr. 16/21 des BAG wurde die Sache daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären, den Vortrag der Parteien umfassend zu würdigen und festzustellen, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte.
 
2. Rechtliche Würdigung

 

a) Vollarbeit und Bereitschaftsdienst sind Arbeitszeit
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 ArbZG ist Arbeitszeit i.S.d. ArbZG „[…] die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen“. Von der Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinn (ArbZG) ist die Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn (§ 611a BGB) zu unterscheiden. Der Anknüpfungspunkt ist bei beiden die „Arbeit“, worunter jede Tätigkeit zu verstehen ist, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG 11.10.2000 – AZR 122/99). Die Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn umfasst jedoch nicht nur Zeiträume, in denen unmittelbare Arbeitsleistungen erbracht werden, sondern auch Zeiträume, in denen andere Tätigkeiten, die im nahen Zusammenhang mit der unmittelbaren Arbeitsleistung stehen und primär im Interesse des Arbeitgebers erfolgen. Das eine Leistung / ein Zeitraum zu vergüten ist, bedeutet nicht unmittelbar, dass es sich dabei um Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinn handelt. Umgekehrt bedeutet die Einstufung als Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinn nicht unmittelbar, dass für den Zeitraum ein Vergütungsanspruch besteht (BAG, Urt. v. 17.10.2018, 5 AZR 553/17; BAG, Urt. v. 12.12.2012, 5 AZR 355/12).

 

Von der Vollarbeit, in der der Arbeitnehmer durch die Arbeit voll beansprucht wird, werden die drei Bereitschaften – Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft -arbeitszeitrechtlich abgegrenzt. Der Arbeitszeitbegriff i.S.d. ArbZG steht im Einklang mit der europäischen Gesetzeslage und der EuGH-Rspr., nach welcher Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit eingestuft werden. Vergütungsrechtlich gelten sogar alle drei Bereitschaftsformen als Arbeitszeit. Die Betreuung von pflegebedürftigen Personen besteht in der Regel aus Vollarbeit und Bereitschaftsdienst. Laut des BAG-Urteils könne ein Bereitschaftsdienst darin bestehen, „dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten“. Grundsätzlich ist unter Bereitschaftsdienst die Zeitspanne zu verstehen, während derer sich der Arbeitnehmer, ohne dass er unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein müsste, für Zwecke des Betriebes aufzuhalten hat, damit er erforderlichenfalls seine volle Arbeitstätigkeit sofort oder zeitnah aufnehmen kann.

 

Die Einordnung eines Zeitraums als Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn, besagt jedoch noch nichts über die Höhe und die Art des Vergütungsanspruchs, da die vergütungsrechtliche Arbeitszeit dispositiv ist – anders die arbeitszeitrechtliche Arbeitszeit. Das heißt, dass Zeiten in denen der Arbeitnehmer keine unmittelbare Arbeitsleistung erbringt, anders vergütet werden können als die Zeit, in der er tatsächlich arbeitet („Vollarbeit“) (vgl. BAG, Urt. v. 5.6.2003, 6 AZR 114/02). Unter Umstände kann sogar ein vollständiger Vergütungsausschluss zulässig sein. Sobald aber eine Tätigkeit als Arbeitszeit i.S.d. ArbZG qualifiziert wird – wie es beim Bereitschaftsdienst der Fall ist – muss mindestens der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden (BAG, Urt. v. 29.06.2016, 5 AZR 716/15).

 

Laut der Pressemitteilung Nr. 16/21 des BAG hat das Landesarbeitsgericht zwar zu Recht in Betracht gezogen, dass in dem Dienstleistungsvertrags eine 24-Stunden-Betreuung durch die Klägerin vorgesehen war. Allerdings hat es rechtsfehlerhaft bei der nach § 286 ZPO gebotenen Würdigung des gesamten Parteivortrags den Hinweis der Beklagten auf die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Stunden/Woche nicht berücksichtigt, sondern hierin ein rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten gesehen. Aus diesem Grund wurde der Sachverhalt an das Berufungsgericht zurück verwiesen.
 
b) Geltung deutschen Rechts für ausländische Arbeitskräfte
Gemäß der Pressemitteilung hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 i.V.m. § 1 MiLoG auch ausländische Arbeitgeber trifft, wenn sie Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Hierbei handelt es sich um Eingriffsnormen i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gelten, ob ansonsten auf das Arbeitsverhältnis deutsches oder ausländisches Recht Anwendung findet.
 
Auch die Vorschriften des ArbZG sind auf ausländische Arbeitnehmer, die in Deutschland tätig sind anzuwenden, da das ArbZG zwingendes öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht darstellt und sich somit auf das gesamte Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erstreckt (sog. Territorialitätsprinzip) und unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes des Arbeitnehmers bzw. Unternehmenssitz des Arbeitgebers gilt.
 
3. Rechtspolitische Einschätzung

 

Durch dieses Urteil wird der Einsatz der 24-Stunden-Kräfte in Privathaushalten noch tiefer in die juristische Grauzone gedrängt. Es bedarf klaren gesetzlichen rechtlichen Regelungen, die auch für Privathaushalten finanzierbare sind. Die Betroffenen deutschen Haushalte bleiben sich sonst selbst überlassen, jetzt mit dem BAG-Urteil zusätzlich mit hohen finanziellen Risiken. Die Politik muss hier Sonderregelungen schaffen, die eine legale und gleichzeitig einfache und preiswerte häuslichen 24-Stunden-Pflege als Alternative zum Alten- und Pflegeheim sicherstellt.
 
4. Fazit

 

Die höchstrichterliche Klarstellung durch das Bundesarbeitsgericht ist zu begrüßen. Damit ist klargestellt, dass ausländischer Betreuungskräfte in Privathaushalten einen Anspruch auf den in Deutschland geltenden gesetzlichen Mindestlohn haben (Urteil vom 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20).
Eine Lösung dieses Problems kann letztendlich nur durch den Gesetzgeber sicherstellen werden, der aber diese Thematik vollständig ausblendet und sich weigert, Sonderregelungen zu schaffen. Der Druck auf die Politik wird zurecht wachsen.