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Kann Sonntagsarbeit Sünde sein? Das Bundesverwaltungsgericht sagt: „Ja“!

Eine hessische Verordnung erlaubt die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Call-Centern, Brauereien und Videotheken, um besondere Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Dies ist gemäß Bundesverwaltungsgericht unwirksam (vgl. BVerwG 6 Cn 1.13).

 

Zur Vertiefung verweisen wir auf den Aufsatz „Kann Sonntagsarbeit Sünde sein?“, Arbeits­recht im Betrieb (AiB) 1/2013, S. 63 von Michael D. Wirlitsch, M.A.E.S. (Univ. Basel) und Dr. Astrid Deusch.

 

Warum gibt es die Sonntagsruhe?

Die baden-württembergische ver.di-Landeschefin Leni Breymaier sagte hierzu: „Der Sonntag ist der Tag für Erholung und Gemeinschaft. Darauf muss eine Gesellschaft sich verlassen können.“ Für den reinen Kommerz braucht es keine Ausnahme in der sog. Gewerbe­bedarfsverordnung.

Die gelegentliche, regelmäßige oder ständige Sonn- und Feiertagsarbeit stieg in der Zeit von 1995 bis 2012 von 21% auf rund 29%. Allein beim Verkaufspersonal ist eine Steigerung von 8% auf rund 24% im gleichen Zeitraum zu verzeichnen. D.h. jeder vierte Beschäftigte arbeitet in dieser Branche auch sonntags.

 

Wie ist die gesetzliche Regelung?

Das Grundgesetz bestimmt, dass der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung gesetzlich geschützt bleiben (vgl. Art. 140 GG i. V. m. § 139 Weimarer Reichsverfassung).

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist der arbeitsfreie Sonntag die Grundlage für die Regeneration des Menschen und des sozialen Zusammenlebens (vgl. hierzu BVerfG, NWVZ, 2010, 570).

Das Arbeitszeitgesetz hat deshalb in § 9 Abs. 1 ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen geregelt. Hiervon gibt es jedoch gem. § 10 Arbeitszeitgesetz unzählige Ausnahmen.

 

Kann der Arbeitgeber Sonntagsarbeit auch durch Weisung/Direktion anordnen?

Ist Sonntagsarbeit gesetzlich oder durch behördliche Ausnahmeregelungen erlaubt, kann der Arbeitgeber durch Weisung kraft seines Direktionsrechtes aus § 106 S. 1 Gewerbeordnung Sonntagsarbeit anordnen. Hierzu ist er auch ohne ausdrückliche Vereinbarung im Arbeits­vertrag berechtigt. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer seither im Betrieb nur Werktags zum Einsatz kam, reicht nicht aus, um Sonntagsarbeit zu verhindern (vgl. hierzu BAG-Urteil vom 15.09.2009, 9 AZR 757/08).

 

Wer darf nicht an Sonn- und Feiertagen arbeiten?

  • Gem. § 8 Mutterschutzgesetz und §§ 17, 18 Jugendarbeitsschutzgesetz dürfen werdende und stillende Mütter und Jugendliche nicht beschäftigt werden.
  •  Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern kann sich im Rahmen der §§ 81 IV Ziff. 1, 124, 84 Abs. 1 SGB IX ergeben, dass die Betroffenen Sonn- und Feiertagsarbeit verweigern können bzw. eine Umsetzung auf einen Arbeitsplatz ohne Sonntagsarbeit zu erfolgen hat.

 

Welche Handlungsmöglichkeiten haben Betriebsräte?

  • Der Betriebsrat hat gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 2 u. 3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht über den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage und bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit.
  • Die Betriebsräte sollten hier ggf. eine entsprechende Betriebsvereinbarung ab­schließen.
  • Auch hat der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch, wenn der Arbeitgeber rechtswidrig Sonntagsarbeit anordnet. Diese ist im Wege der einstweiligen Verfügung auch kurzfristig durchsetzbar.
  • Gem. § 80 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zu überwachen. Gem. § 80 Abs. 2 BetrVG muss er sämtliche erforderlichen Auskünfte erhalten (vgl. hierzu AiB 2003, 749 = BAG vom 06.05.2003, 1 ABR 13/02).

 

Welche Folgen hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts?

Der Sonntag als gemeinsamer freier Tag wird dadurch aufgewertet, er ist für Familie und Freunde reserviert.

Das Urteil kann auch als eine Aufforderung an alle Landesregierungen verstanden werden, Ausnahmeregelungen in der Bedarfsgewerbeverordnung umgehend zu überprüfen.