Anja Reinke

Kita-Plätze in Konstanz: Mehrzahl der unter Dreijährigen geht leer aus

Nicht alle Eltern, die einen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind benötigen, bekommen in Konstanz einen Platz. Daran ändert auch der ab August geltende Rechtsanspruch nichts. Während die Stadt den Bedarf langfristig auf rund 60 Prozent schätzt, schafft sie in diesem Jahr tatsächlich nur eine Quote von 36,9 Prozent. Berufliche Konsequenzen für die Eltern hat eine Absage, wenn junge Eltern nach der Elternzeit nicht wie geplant an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Ein Ausweg kann es für Betroffene sein, die Kinderbetreuung privat zu organisieren und Schadensersatz von der Stadt zu fordern. Darauf weist die Konstanzer Arbeitsrechtlerin Anja Reinke von der Kanzlei WIRLITSCH-Kanzlei für Arbeitsrecht, selbst Mutter von zwei Kindern, hin. Schlechter als die öffentliche Kita muss der private Kinderladen nicht sein – ein bisschen teurer könnte er aber werden.

Rechtsanspruch ab August

Die Rechtslage ist eindeutig: Ab dem 1. August 2013 haben Kinder schon ab Vollendung des ersten Lebensjahres bis zum dritten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege.

Letzte Chance in Runde zwei oder drei

In Konstanz sind, wie der städtische Pressesprecher Walter Rügert sagte, die Zusagen für alle Plätze inzwischen raus. Die Zusagen erfolgten über die jeweiligen Einrichtungen. Wer bis jetzt keine Zusage bekommen hat, hat damit zunächst einmal eine Absage erhalten. Bis Ende vergangener Woche hatten die angeschriebenen Eltern die Möglichkeit, den zugesagten Platz anzunehmen. Stadtsprecher Walter Rügert erklärte weiter: „Sollten dann Plätze von den Eltern nicht genommen werden, so werden diese Plätze in einer zweiten und möglicherweise in weiteren Runden erneut vergeben.“

Stadt verschickt keine Absagen

„Absagebriefe werden nicht versandt, denn bis gesichert geklärt ist, welche Kinder nun tatsächlich aufgenommen werden, kann noch eine gewisse Zeit vergehen“, kündigte Walter Rügert an. Die Einrichtungen würden die Aufnahmegespräche „gestaffelt bearbeiten“, so der Sprecher der Stadt. „Erst wenn die Verträge zwischen Eltern und Kita abgeschlossen sind, können tatsächlich die Aufnahmen im System hinterlegt werden. Bis dahin haben die Eltern jedoch schon bei den Kitas angerufen und von dort Tendenzen bzw. Ergebnisse erfahren“, erklärt der Sprecher weiter. Diese Praxis bestehe seit Jahren und es habe bisher noch nie Probleme gegeben.

Ohne Absage keine Widerspruchsmöglichkeit

Rechtsanwältin Anja Reinke, deren Kinder beide versorgt sind und die nicht persönlich betroffen ist, sagt, ohne Absage könnten Eltern aber keinen Widerspruch einlegen und es verstreiche kostbare Zeit. Wer über eine Absage nicht Bescheid wisse, habe auch nicht die Chance, rechtzeitig nach einer alternativen Lösung zu suchen. Die Anwältin, die seit fast 10 Jahren im Arbeitsrecht tätig ist, weiter: „Die Eltern haben insgesamt Anspruch auf 14 Monate Elterngeld, wobei ein Elternteil mindestens zwei und höchstens 12 Monate Elterngeld beziehen kann .“ Die zweimonatige Elternzeit nehme meist der Vater – die längere Zeit die Mutter. Die Eltern müssten sich frühzeitig festlegen, wann sie an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Mit Arbeitsplatz und Krippe müsse es „synchron“ laufen, sonst klappe es nicht. Zwar müssten Eltern nicht mit einer Kündigung rechnen – ein Karriereknick aber wird, wenn es nicht klappt, wahrscheinlicher.

Die Kita ist besetzt

Wenn Familien keinen Platz für ihr unter Dreijähriges in der Kita oder bei einer Tagesmutter bekommen, nutze der Rechtsanspruch bei der Bewältigung des Alltags erst einmal gar nichts, sagt die Anwältin. Da die Stadt und andere Träger Qualitätsstandards in den Krippen einhalten müssten, könnten Eltern auch nicht davon ausgehen, dass sie widersprechen und dann doch noch eine Zusage erhalten. Wenn die Kindertageseinrichtungen ausgelastet sind, geht nichts mehr.

Alternative private Betreuung

Anja Reinke hält die private Lösung denn auch für den besseren Weg. Wenn Eltern die Kinderbetreuung privat organisieren, könnten sie von der Stadt Schadensersatz verlangen. Konkret geht es um den Differenzbetrag, um den die privat organisierte Kita möglicherweise teurer ist als ein Platz in einer städtischen Kita. Die Anwältin geht davon aus, dass die Chancen für Eltern, die klagen, gar nicht so schlecht stehen. In Mainz habe es einen ähnlichen Fall gegeben. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz habe in Rheinland-Pfalz in zweiter Instanz zugunsten der Eltern entschieden. Im September befasse sich dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit dem Fall. Konstanzer Eltern müssten vor das Verwaltungsgericht Freiburg ziehen. Die Richter in Freiburg wären an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden.

Richtigen Weg einschlagen

Die Konstanzer Anwältin wies aber gleich vorsorglich darauf hin, dass die Eltern nicht sofort eine private Lösung suchen dürften. Sie bräuchten zunächst einmal eine schriftliche Absage mit Rechtsbehelfsbelehrung, gegen die sie Widerspruch mit Hinweis auf den Rechtsanspruch einlegen könnten. Alternativ kann, wenn über den Antrag innerhalb einer angemessenen Frist nicht entschieden worden ist, auch ohne Widerspruch Untätigkeitsklage beim Gericht eingereicht werden. Frühestens ist dies nach Ablauf von drei Monaten möglich. Klagen könnten die Eltern auf einen Platz oder hilfsweise Schadensersatz. Erst dann wäre der Weg für eine private Kindergruppe frei.

Arbeitsplatz vorläufig weg

Ärgerlich aus Sicht der Frauen, die noch immer am häufigsten diejenigen sind, die zu Hause bleiben, sei es, dass deren Arbeitsplatz dann häufig anderweitig besetzt werde. Oft stellten Firmen während der Elternzeit einen Mitarbeiter auf Zeit ein. Wenn junge Mütter oder auch Väter einen Rückkehrtermin nicht einhalten können, könnten sie oft nicht einfach sagen, sie kämen zwei oder drei Monate später. Die Rückkehr an den gleichwertigen Arbeitsplatz sei dann in vielen Fällen erst nach zwei Jahren statt nach einen Jahr möglich.

Vorbildlich Tognum in Friedrichshafen

Unternehmen selbst kümmern sich trotz Fachkräftemangels nicht selbst um Betreuungsangebote. Nicht alle Beschäftigten treffen es so gut wie Mitarbeiter von Tognum in Friedrichshafen. Der Antriebssystem- und Energieanlagenspezialist Tognum investiert am Standort Friedrichshafen in eine firmeneigene Kindertagesstätte. Das kündigte Tognum schon vor gut einem Jahr an. Die Kita biete Betreuungsmöglichkeiten für bis zu 40 Mitarbeiterkinder – die Hälfte dieser Plätze soll für Krippenkinder im Alter von einem halben bis zu drei Jahren reserviert sein. Das Unternehmen investiere, so die Ankündigung damals, rund vier Millionen Euro in die neue Kita. Am 3. Juni stellt Tognum die neue Kita den Medien vor. In Konstanz fehlt ein großes Unternehmen wie Tognum, das solch ein Angebot macht. Betriebliche Betreuungsplätze gibt es hier nur wenige – in der „Krümelkiste“ in Stromeyersdorf in Konstanz zum Beispiel. Firmen können dort Plätze für Mitarbeiterkinder reservieren.

Kita-Plätze im Fokus

Thema dürften Kita-Plätze in Konstanz für Stadt, Eltern und auch Betriebe noch länger bleiben: Die Zahl der Kinder schrumpft in Konstanz nicht so wie anderswo. 2013 wohnen in Konstanz 1.922 Kinder unter drei. Ihnen stehen 710 Plätze gegenüber. 109 Plätze kamen in diesem Jahr neu hinzu. Die Quote liegt aktuell bei 36,9 Prozent. 2014 verbessert sich die Quote leicht auf 38,8 Prozent. Dann stehen 1.883 Kindern mit Rechtsanspruch 730 Plätze gegenüber. Die Stadt möchte langfristig eine Quote von rund 60 Prozent erreichen. Hürden sind da aber nicht nur fehlende Räume, sondern auch die Betriebskosten, die die Stadt langfristig decken muss und die den Haushalt belasten, sowie qualifiziertes Personal, das sich das Leben in Konstanz leisten kann.

Investitionen in Kitas

Dass die Stadt, was den Ausbau der Kinderbetreuung angeht, nicht untätig war, beweisen diese Zahlen: Allein in diesem Jahr investiert die Stadt 8 Millionen Euro in die Kleinkindbetreuung. 2014 sind es weitere 5,1 Millionen Euro. 2015 und 2016 sind noch 2,5 Millionen Euro und 3,7 Millionen Euro eingeplant. Das größte Projekt 2015 wird ein Neubau in der Jungerhalde sein. 2015/2016 ist es der Neubau Petrus im Kuhmoos, der Ersatz für den Paulus Kindergarten ist.

Prognose bis 2030

Durch den demografischen Wandel wird es in Konstanz kaum Entspannung geben: Bis 2020 steigt die Zahl der unter Dreijährigen weiter an. Erst ab 2025/2030 erwartet die Stadt einen leichten Rückgang.

Dieser Artikel erschien zuerst auf see-online.info