Mein Betrieb macht dicht – und jetzt?

Habe ich einen Abfindungsanspruch bei Betriebsänderung?

Diese und ähnliche Fragen werden in den Betrieben bei den Beschäftigten und den Betriebsräten jetzt häufiger gestellt. Auf Grund der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich der Druck des Marktes auf die Unternehmen verstärkt, so dass sich die Unternehmen in einem ständigen Umstrukturierungsprozess befinden. Dies führt häufig zu Personalabbau, so dass sich die Beschäftigten und auch der Betriebsrat mit grundlegenden Veränderungen auseinandersetzen müssen, die nicht zum Alltag der Betriebe gehören. – Dieser Beitrag beantwortet zentrale Fragen, die im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung immer wieder auftauchen, und gibt damit eine erste Orientierung.

Was ist überhaupt eine Betriebsänderung?

Betriebsänderungen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) sind grundsätzlich alle Änderungen der betrieblichen Organisation, der Struktur, des Tätigkeitsbereiches, der Arbeitsweise, der Fertigung, des Standorts usw., sofern sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile derselben zur Folge haben können. § 111 Satz 3 BetrVG zählt als Beispiele auf:

· Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile
· Verlegung des ganzen Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile
· Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben
· grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen
· Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren

Die Aufzählung ist nicht abschließend. Anerkanntermaßen handelt es sich auch dann um eine Betriebsänderung, wenn ein Personalabbau in größerem Umfang stattfindet. Maßgeblich sind dabei die Zahlen und Prozentangaben des § 17 KSchG; es müssen in größeren Betrieben aber mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein.

Wie ist der Betriebsrat bei einer Betriebsänderung zu beteiligen?

a) Unterrichtung und Beratung (§ 111 Satz 1 BetrVG)

Hat das Unternehmen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer, hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und diese mit ihm zu beraten (§ 111 Satz 1 BetrVG).

Bei der Frage, ob und wie der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durchführt, hat der Betriebsrat kein volles Mitbestimmungsrecht – er kann die Durchführung der Betriebsänderung gegen den Willen des Arbeitgebers weder verhindern noch eine andere Durchführungsform erzwingen. Er kann jedoch durch geschicktes Verhandeln versuchen, einen Interessenausgleich zu erreichen und hierdurch Einfluss auf die Art und Weise der Durchführung der Betriebsänderung nehmen.

Entstehen den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile, so soll gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein Sozialplan vereinbart werden, in dem ein Ausgleich bzw. die Milderung der Nachteile geregelt werden. Anders als den Interessenausgleich kann der Betriebsrat den Sozialplan durch Anrufung der Einigungsstelle erzwingen, wenn anders keine Einigung erzielt wird. Bei einer Betriebsänderung, die allein in der Entlassung von Arbeitnehmern besteht, kann der Sozialplan allerdings nur ab einer gewissen Anzahl zu entlassender Mitarbeiter erzwungen werden:

· Betriebe < 60 Mitarbeiter: 20 %, aber mindestens 6
· Betriebe > 60 Mitarbeiter: 20 %, aber mindestens 37
· Betriebe > 250 Mitarbeiter: 20 %, aber mindestens 60
· Betriebe > 500 Mitarbeiter: 10 %, aber mindestens 60

(vgl. § 112a BetrVG)

b) Anzeigepflicht bei Massenentlassungen (§ 17 Abs. 2 KSchG)

Handelt es sich bei der Betriebsänderung um eine Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG, so muss der Betriebsrat vorher schriftlich unterrichtet werden über

· die Gründe für die geplanten Entlassungen
· Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden sowie der in der Regel beschäftigten Mitarbeiter
· den geplanten Entlassungszeitraum
· Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer
· Kriterien für die Berechnung eventueller Abfindungen

Arbeitgeber und Betriebsrat sollen vor allem darüber beraten, wie Entlassungen vermieden, eingeschränkt oder ihre Folgen gemildert werden können.

Was passiert, wenn der Arbeitgeber das Verfahren missachtet?

Falls der Arbeitgeber das Verfahren der allgemeinen Unterrichtung und Beratung missachtet, hat jeder einzelne Arbeitnehmer die Möglichkeit, einen sog. Nachteilausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zu verlangen und ggf. gerichtlich durchzusetzen.

Darüber hinaus kann der Betriebsrat gegen den Arbeitgeber, wenn dieser sich nicht an das gesetzlich vorgesehene Verfahren hält und Betriebsänderungen „scheibchenweise“ vornimmt, mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung vor dem Arbeitsgericht erwirken, dass das Verfahren eingehalten wird.

Im Gesetz nicht geregelt ist, welche Rechtsfolge die Unterlassung der Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG hat. Vom EuGH wurde bereits entschieden, dass es nicht ausreicht, mit dem Betriebsrat erst nach Ausspruch der Kündigungen, aber vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu beraten, sondern dass dies vor Ausspruch der Kündigungen erfolgen muss. Ob dies entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG dazu führt, dass die Kündigungen unwirksam sind, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.

Haben die Mitarbeiter Anspruch auf Abfindung?

Grundsätzlich sehen die Gesetze die Zahlung einer Abfindung an den gekündigten Arbeitnehmer nur im Ausnahmefall vor. Wurde allerdings zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ein Sozialplan vereinbart, so besteht ein Anspruch auf die im Sozialplan festgelegte Abfindung.

Wie hoch sind normalerweise die Abfindungen?

Eine vorgeschriebene Abfindungshöhe gibt es nicht. Theoretisch ist jede Summe verhandelbar. Als Orientierungshilfe kann die sog. „Faustformel“ herangezogen werden: Danach ist ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr anzusetzen. Je nach Verhandlungsspielraum können Abfindungen in Sozialplänen auch wesentlich höher oder aber deutlich niedriger ausfallen. Möglich ist es, im Sozialplan Mindestabfindungen oder auch Deckelungen der Höchstbeträge festzulegen.

Welches Gehalt wird für die Berechnung der Abfindung zugrunde gelegt? Das Grundgehalt allein oder inklusive Zulagen o. Ä.?

Um Streit über die Höhe der Abfindungen zu vermeiden, sollte dies möglichst im Sozialplan geregelt werden. Hier ist theoretisch jede Variante denkbar. Enthält der Sozialplan hierzu keine Regelung, ist von § 10 Abs. 3 KSchG auszugehen: Als Monatsverdienst gilt, was der Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet, an Geld- und Sachbeträgen zusteht.

Was ist bei den Abfindungsverhandlungen noch zu beachten?

Bei der Abfindung ist zu beachten, dass seit dem 01.01.2006 die Steuerfreibeträge gestrichen sind. Das heißt, dass die Abfindung zwar sozialversicherungsfrei ausgezahlt wird, aber voll versteuert werden muss. Bei Verhandlungen über die Abfindung sollte durch geschicktes Verhandeln versucht werden, eine höhere Summe zu erzielen, um die Steuerlast wieder auszugleichen. Im Übrigen empfiehlt es sich, die Abfindungsregelung so zu gestalten, dass die Angehörigen des Arbeitnehmers abgesichert sind, für den Fall, dass der Arbeitnehmer vor Ablauf der Kündigungsfrist stirbt. Bei langer Betriebszugehörigkeit geht es ggf. um viel Geld und die finanzielle Existenz z. B. der Kinder des Arbeitnehmers. Mit den entsprechenden Passagen in der Abfindungsvereinbarung oder im Sozialplan lässt sich hier Sicherheit schaffen.

Müssen die Arbeitnehmer mit einer Sperrzeit beim Arbeitsamt rechnen?

Vorsicht ist nicht nur bei Eigenkündigungen oder Aufhebungsverträgen geboten, sondern auch bei sog. Abwicklungsverträgen, mit denen nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung eine Abfindung vereinbart wird. Hier besteht für den Arbeitnehmer immer das Risiko einer Sperrzeit für das Arbeitslosengeld! Er sollte sich daher vor einem solchen Schritt immer rechtlich beraten lassen, um entscheiden zu können, ob dieser Schritt für ihn persönlich sinnvoll ist.

Im Übrigen kann der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhen (d. h. die Abfindung wird auf das Arbeitslosengeld „angerechnet“), wenn die Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde.

Wie kann sich ein Arbeitnehmer gegen eine Kündigung wehren?

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Tut er dies nicht, gilt die Kündigung als wirksam.

Eine Klage ist unter Umständen auch dann sinnvoll, wenn es einen Sozialplan gibt. Werden nicht alle Mitarbeiter entlassen, kann es sein, dass der Arbeitgeber Fehler bei der Sozialauswahl gemacht hat. Dies muss im Einzelfall geprüft werden. Es ist auch möglich, im Rahmen gerichtlicher Vergleichsverhandlungen eine höhere als die Sozialplanabfindung auszuhandeln. Ein Rechtsanspruch besteht aber nur auf die Sozialplanabfindung.