Rechtsprechung des BAG im Zeugnisrecht: Durchschnitt heißt „befriedigend“

Für den Arbeitnehmer stellt das qualifizierte Arbeitszeugnis ein zentrales Dokument dar, mit dessen Hilfe er versucht, auf dem Arbeitsmarkt einen guten für ihn passenden Job zu finden. Die neueste Entscheidung des BAG (vgl. BAG-Urteil vom 18.11.2014 – 9 AZR 584/13, Pressemitteilung Nr. 61/14) ist für die Durchsetzung eines guten Arbeits­zeugnisses für die Arbeitnehmer wichtig. Hier dokumentieren und bewerten wir diese Entscheidung.

 

Wir verweisen auch auf  folgende Blickpunkte Arbeitnehmer:

  • Neue Rechtsprechung im Zeugnisrecht: „Gute“ bzw. „sehr gute“ Zeugnisse jetzt leichter durchsetzbar (Blickpunkt 1/13);

 http://www.blickpunkt-arbeitnehmer.de/1-13.html

  • Das qualifizierte Arbeitszeugnis

vgl. www.wirlitsch-arbeitsrecht.de/das-qualifizierte-arbeitszeugnis

  • Wissenswertes zum Thema Arbeitszeugnis

vgl. www.wirlitsch-arbeitsrecht.de/wissenswertes-zum-thema-arbeitszeugnis

1. Ausgangsfall und Streitfrage

Der Ausgangsfall spielt 2010-2012 in einer Zahnarztpraxis in Berlin. Die Arbeitnehmerin war im Empfangsbereich und als Bürofachkraft beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte insbe­sondere die Organisation der Bürotätigkeiten und der Empfang bzw. Betreuung der Patienten. Ihr Arbeitgeber, ein Zahnarzt, erteilte der Arbeitnehmerin nach der Beendigung des Arbeitsver­hältnisses ein Arbeitszeugnis. Hierüber streiten die Parteien, weil der Zahnarzt die Leistung der Arbeitnehmerin lediglich mit „zur vollen Zufriedenheit“ bewertet hat. Bei Personalern be­deutet eine solche Bewertung ein „befriedigend“.

2. Hintergrund

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG 9. Senat, Urteil vom 14.10.2003) galt bisher die Note „befriedigend“ als durchschnittlich. Diese Rechtsprechung ist durch die In­stanzgerichte, also die erste und zweite Instanz der Arbeitsgerichte, infrage gestellt worden, indem die Arbeitsrichter in der ersten und zweiten Instanz teilweise argumentiert haben, dass angesichts aktueller empirischer Erkenntnisse, wonach mittlerweile in 86,6 von 100 der erteilten Arbeitszeugnisse gute oder bessere Leistungen bescheinigt werden, man dem Ar­beitnehmer nicht länger den Nachweis dafür auferlegen könne, er sei in der Gruppe der Schwächsten 13,4 von 100 aller Beschäftigten zu Unrecht eingereiht worden, (vgl. hierzu unseren Blickpunkt Arbeitnehmer 1/13).

Die Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte haben also teilweise geurteilt, dass durch­schnittlich nicht mehr mit „befriedigend“ gleichgesetzt werden könne, weil dies nicht mehr der in Deutschland üblichen Praxis entspräche.

In der Pressemitteilung 61/14 schreibt das Bundesarbeitsgericht „Beansprucht der Arbeit­nehmer eine bessere Schlussbeurteilung, muss er im Zeugnisrechtstreit entsprechende Leistungen vortragen und ggf. beweisen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn in der ein­schlägigen Branche überwiegend „gute“ („stets zur vollen Zufriedenheit“) oder „sehr gute“ („stets zur vollsten Zufriedenheit“) Endnoten vergeben werden.“

3. Wie hat das Bundesarbeitsgericht argumentiert?

Das Bundesarbeitsgericht hat die empirischen Daten auf die Seite gewischt und argumentiert: Die vom Landesarbeitsgericht zur Ermittlung einer durchschnittlichen Bewertung herange­zogenen Studien, nach denen fast 90% der untersuchten Zeugnisse die Schlussnote „gut“ oder „sehr gut“ aufweisen sollen, führen nicht zu einer anderen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht auf die in der Praxis am häufigsten ver­gebenen Noten an. Ansatzpunkt ist die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zufrieden­heitsskala. Begehrt der Arbeitnehmer eine Benotung im oberen Bereich der Skala, muss er darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist.

Im Übrigen ließen sich den Studien Tatsachen, die den Schluss darauf zulassen, dass 9 von 10 Arbeitnehmer gute oder sehr gute Leistungen erbringen, nicht entnehmen. Damit könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen ein­gegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen. Der Zeugnisanspruch nach § 109 Abs. 1 S. 3 GewO richtet sich auf ein inhaltlich „wahres“ Zeugnis. Das umfasst auch die Schlussnote. Ein Zeugnis muss auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein.

4. Wie ist das BAG-Urteil zu bewerten?

Für Arbeitnehmer bedeutet dies jetzt in einem Prozess, dass er geringere Erfolgswahr­scheinlichkeiten hat ein besseres Zeugnis durchzusetzen, wenn der Arbeitgeber ein „befriedigend“ bescheinigt hat, weil er die volle Darlegungs- und Beweislast für ein „gut“ hat.

Des Weiteren werden Arbeitgeber auch zukünftige Arbeitszeugnisse verstärkt dazu einsetzen können die Abfindung eines ehemaligen Angestellten zu drücken.

Der Arbeitnehmer erhält ein „gutes“ oder „sehr gutes“ Zeugnis, wenn er z.B. bei Abfindungs­verhandlungen eine etwas geringere Abfindung akzeptiert. Dies mag für den Arbeitgeber betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, für Arbeitnehmer bedeutet dies in solchen Verhandlungs­situationen, dass er schlicht eine geringere Abfindung erhält. Es ist dann im Einzelfall abzuwägen, ob das „gute“ oder „sehr gute“ Arbeitszeugnis im Hinblick auf künftige Bewerbungen einen höheren Wert darstellt als die Abfindung.