Ein Arbeitnehmer hat über Fasnacht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, der Chef sieht den Arbeitnehmer ausgelassen am Fasnachtsumzug laut „Ho Narro“ rufen und macht ein Foto als Beweis – darf er das?
1. Gehen Arbeitsunfähigkeit und „Ho Narro“ zusammen?
Viele Arbeitnehmer sind sich unsicher darüber, was sie aus arbeitsrechtlicher Sicht während einer Arbeitsunfähigkeit eigentlich alles tun dürfen.
Was bedeutet Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitnehmer?
Grundsätzlich bedeutet Arbeitsunfähigkeit nicht, dass der Arbeitnehmer zu Hause im Bett liegen muss. Der Arbeitnehmer darf alles tun, was die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit fördert und diese nicht gefährdet.
Im Zweifel sollten die Arbeitnehmer mit ihrem Arzt Rücksprache halten. Es kommt also wie so häufig auf den Einzelfall an.
2. Darf der Arbeitgeber seinen krankgeschriebenen Arbeitnehmer zu Beweiszwecken in der Öffentlichkeit fotografieren?
Antwort: Es kommt darauf an!
Muss das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers hinter die Beweisinteressen des Arbeitgebers zurücktreten?
Für die Antwort muss man wissen, was das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bedeutet.
Es ist ein Grundrecht, das dem Schutz der Persönlichkeit einer Person vor Eingriffen in ihren Lebens- und Freiheitsbereich dient. Es ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und wird aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (freie Entfaltung der Persönlichkeit) abgeleitet.
3. Wie entscheiden die Arbeitsgerichte?
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, (Az.: 10 SaGa 3/13) auch eine Hochburg in der närrischen Zeit, hat einen ähnlichen Fall wie oben geschildert entschieden.
Der krankgeschriebene Arbeitnehmer reinigte gemeinsam mit seinem Vater an einem Wochenende ein Auto in einer Waschanlage. Zufällig kam auch der ihm vorgesetzte Abteilungsleiter zu genau dieser Autowaschanlage. Dieser war doch sehr erstaunt über die gute körperliche Verfassung des Arbeitnehmers und nahm daher mehrere Fotos vom Arbeitnehmer, um seine Beobachtung zu dokumentieren, auf.
a. Das Landesarbeitsgericht sagt: Es kommt darauf an!
Der Vorgesetzte hat durch das Fotografieren den Arbeitnehmer in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt hat. Aufgrund des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts darf jeder selbst darüber entscheiden, ob andere Personen Fotos oder auch Filmaufnahmen von einem anfertigen und eventuell auch gegen einen verwenden dürfen. Die Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts war im vorliegenden Fall allerdings gerechtfertigt. Das Gericht führte eine Interessenabwägung durch. Hierbei wog es die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegeneinander ab; also das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers einerseits und das Beweisinteresse des Arbeitgebers andererseits. Im Ergebnis trat hier das Allgemeine Persönlichkeitsrecht hinter dem Beweisinteresse zurück.
b. Was spricht hier für den Arbeitnehmer?
Der Arbeitnehmer war arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt nach der Rechtsprechung ein hoher Beweiswert zu. Nach der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung für die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit. Nur durch die Fotos konnte der Arbeitgeber den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, so das Gericht.
c. Was spricht für den Arbeitgeber?
Aus Sicht des Vorgesetzten bestand der konkrete Verdacht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht und damit einen Entgeltfortzahlungsbetrug begangen haben könnte. Nach der Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers war die Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers daher nicht rechtswidrig. Die Aufnahme der Fotos zur Beweissicherung war somit rechtlich zulässig.