Die Gesundheitspolitik der Bundesregierung ist in Schieflage und führt zu großen Verwerfungen und einem Vertrauensverlust bei den Versicherten und den Mitarbeitern der gesetzlichen Kassen.
Wie ist die Lage bei den Versicherten?
Aktuell wehren sich rund 150 000 Versicherte gegen Zusatzbeiträge ihrer gesetzlichen Krankenversicherung, indem sie sich weigern, diese zu bezahlen. Die Versicherten boykottieren die erhobenen Zusatzbeiträge, weil sie das Gefühl haben, durch ihre normalen Beiträge, durch die Praxisgebühr und die ganzen Zuzahlungen schon über Gebühr zur Kasse gebeten zu werden. Nun droht –vielleicht- die Pfändung durch die Kassen. Nachdem das Berliner Sozialgericht Anfang August die Zusatzbeiträge der DAK bei drei Versicherten aus formalen Gründen für unwirksam erklärt hat, ist sowohl die rechtliche als auch die politische Durchsetzung der Zusatzbeiträge zumindest fraglich.
Vor kurzem haben wir bereits in Stuttgart die Pleite der 1. gesetzlichen Krankenkasse, der City BKK, erleben müssen.
Hunderttausende der Versicherten der City BKK mussten sich eine andere Krankenkasse suchen. Dort waren sie aber teilweise nicht willkommen, weil den anderen gesetzlichen Kassen diese Neukunden als schlechtes Risiko erschien. Dies schadet dem Ansehen der gesetzlichen Krankenversicherung und erschüttert das Vertrauen der Versicherten in die Solidarität innerhalb des gesetzlichen Krankenkassensystems.
In Presseartikeln wird bereits spekuliert, ob die BKK für Heilberufe weiterhin am Markt bleiben kann, nachdem sie aufgrund von Mitgliederschwund in eine schwierige Situation geraten sei. Möglicherweise droht ihr das gleiche Schicksal wie der City BKK.
Wie ist die Lage bei den Mitarbeitern der gesetzlichen Krankenversicherung?
In der Öffentlichkeit ist bislang völlig untergegangen, dass auch alle Arbeitsverträge der Beschäftigten der City BKK zum 30.6.2011 aufgelöst werden sollen. Etwa 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kasse werden per Verwaltungsakt auf die Straße gesetzt.
Zwar ist den tariflich unkündbaren Angestellten der City BKK vom Landesverband und anderen BKK eine Stellung anzubieten, die ihnen „unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten nach ihrer bisherigen Dienststellung zuzumuten“ ist. Diese Angebote sind bislang nur schleppend und unzureichend unterbreitet worden.
Den übrigen Beschäftigten brauchen nicht einmal solche Angebote gemacht werden. Darunter fallen alle Beschäftigten, die in Stuttgart eingesetzt sind.
Das ganze Vorgehen hat System.
Warum soll die Abwicklung der City BKK möglichst geräuschlos und kostengünstig erfolgen?
Antwort: Weil sonst vor allem die übrigen Betriebskrankenkassen im Haftungsverbund für die Verpflichtungen der City BKK aufkommen müssen (vgl. hierzu § 155 IV Satz 3 SGB V).Sind auch die Betriebskrankenkassen dazu nicht in der Lage, dann können alle gesetzliche Krankenkassen herangezogen werden, um nicht gedeckte Beiträge aufzubringen (vgl. § 155 IV Satz 5 und 6 SGB V).
Damit diese Haftung nicht eintritt, sollen für die Beschäftigten der City BKK nicht einmal die sonst üblichen Kündigungsbestimmungen (z.B. für Schwerbehinderte oder Schwangere) und der arbeitsrechtliche Mindestschutz gelten.
Wie agiert der Vorstand der City BKK?
Der Verstand der City BKK versucht mit Hilfe einer geräuschlosen und kostengünstige Lösung auf Kosten der Beschäftigten und der Mitarbeiter zu verhindern, dass die übrigen Betriebskrankenkassen bzw. die übrigen gesetzlichen Krankenkassen in die gesetzliche Ausfallhaftung gem § 155 IV SGB V gelangen.
Nachdem am 04.05.2011 das Bundesversicherungsamt als zuständige Aufsichtsbehörde die City BKK nach § 153 S 1 Nr. 3 SGB V wegen angeblich auf Dauer angelegter mangelnder Leistungsfähigkeit zum 30. Juni 2011 geschlossen hat, agiert der Vorstand massiv zum Nachteil der Beschäftigten und der Versicherten. Der Vorstand verzichtet kurzerhand nach Zustellung des o.g. Bescheides auf Rechtsmittel. Damit ist auf Kosten der Versicherten und der Beschäftigen die Rechtskraft des Bescheides herbeigeführt worden.
Aber damit nicht genug, es geht noch „besser“: Ein weiteres rigoroses Vorgehen des Vorstands der Kasse gegen die Beschäftigten kommt hinzu.
Da zum Schließungszeitpunkt die Kasse noch nicht abgewickelt ist, also weiterhin erheblicher Personalbedarf, besteht, versucht der Vorstand der Kasse im Vorfeld, sich das Personal für die Abwicklung ohne jede Rücksicht auf die soziale Stellung der Betroffenen über mitbestimmungswidrige Personalplanung zusammenzustellen, in dem er die Personalvertretungen ausschaltet.
Beschäftigten werden ohne Beteiligung der Personalräte befristete Arbeitsverträge angeboten, obwohl es sich dabei eindeutig um mitbestimmungspflichtige Einstellungen handelt. Versuche der Betroffenen, vor Abschluss der Anschlussverträge Vorbehalte in dem Sinn anzubringen, dass mit der Vereinbarung eines Abwicklungsarbeitsvertrags nicht auf die Geltendmachung des Fortbestands ihrer unbefristeten Arbeitsverträge verzichtet wird, droht der Vorstand damit, dann eben keinen befristeten Anschlussarbeitsvertrag anzubieten oder abzuschließen.
Der Vorstand der City BKK hilft an entscheidender Stelle also mit, die geltenden arbeitsrechtlichen Mindeststandards zwecks Minimierung des Haftungsrisikos der Krankenkassen auszuhebeln.
Was ist kurzfristig zu tun?
1. Solange die Rechtmäßigkeit der Zusatzbeiträge für die Versicherten nicht abschließend rechtlich geklärt ist, weil die Kassen nicht deutlich genug auf das Sonderkündigungsrecht hingewiesen haben, ist die Geltendmachung der Zusatzbeiträge auszusetzen.
2. Die einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge sind abzuschaffen und statt dessen ist zurückzukehren zu einer paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse.
3. Der Bundestag muss sicherstellen, dass den Versicherten keine Lücken im Versicherungsschutz oder im Leistungsbezug entstehen, wenn eine Kasse schließen muss oder Insolvenz anmeldet.
4. Durch die Aufsichtsbehörden (das sind das Bundesversicherungsamt und das Bundesgesundheitsministerium) ist der Vorstand der City BKK anzuhalten, dass sich dieser –was eine Selbstverständlichkeit sein sollte – an Recht und Gesetz hält. Einschüchterungen und Drohungen des Vorstandes haben sofort zu unterbleiben.
5. Der Vorstand der City BKK hat sofort mitbestimmungswidrige Personalmaßnahmen zu unterlassen und bereits ergangene Maßnahmen aufzuheben. Der Personalrat ist vollumfänglich in seinen gesetzlichen Rechten zu beteiligen.