Ausgabe Nr. 1/17
Der Freiheit eine Gasse oder
Arbeitgeber dürfen Internetchats des Arbeitnehmers nicht ohne Vorabinfo
des Arbeitnehmers überwachen
Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit seinem Urteil vom 05.09.2017 (Grand Chamber, Case of Barbulescu v. Romania, Application no. 61496/08).
Rumänien wurde wegen des Verstoßes gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Privatsphäre) verurteilt. Mit Auswirkungen auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Deutschland ist zu rechnen.
Welcher Vorwurf hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gemacht?
Ein rumänischer Verkaufsleiter wird gekündigt, da er während der Arbeitszeit von seinem Arbeitsplatz insbesondere über einen Online-Chat-Service (Yahoo Messenger) private Gespräche führt. Interne Vorschriften des Unternehmens, die vom ehemaligen Arbeitnehmer auch gelesen und unterzeichnet wurden, sprachen ein striktes Verbot der privaten Nutzung von Computern, Kopieren, Telefonen, Telex und Fax-Maschinen aus. Zusätzliche wurde am 3. Juli 2007 ein Newsletter im Büro verteilt, welcher ebenfalls zur Kenntnis gereicht und unterschrieben wurde. Dieser enthielt die klare Aufforderung weder das Internet, Telefon noch das Fax für Erledigungen zu nutzen, die nicht im Zusammenhang mit der Arbeit stehen. Falls es dennoch zu privater Nutzung kommen sollte, wurden arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht.
Wie reagiert der Arbeitgeber?
Im Zeitraum vom 03. -13. Juli wurden die privaten Messenger Verläufe des ehemaligen Mitarbeiters dokumentiert. Der Arbeitgeber forderte den Arbeitnehmer auf, eine Erklärung zu diesen Vorwürfen abzugeben. Der Arbeitgeber sah in diesen Handlungen des Arbeitnehmers eine Straftat und kündigte sein Arbeitsverhältnis am 01. August 2007.
Wie reagierte der Arbeitnehmer und wie hat die rumänische Justiz geurteilt?
Der ehemalige Arbeitnehmer versuchte auf dem Klageweg sich gegen die Kündigung zu wehren, seinen Lohn zu erhalten und Schadensersatz von seinem Arbeitgeber aufgrund des rufschädigenden Verhaltens des Arbeitgebers zu erlangen. Seine Klagen wurden bisher in allen innerstaatlichen rumänischen Instanzen als unbegründet abgewiesen.
Welche rechtlichen Argumente bringt der Arbeitnehmer vor?
Der ehemalige Arbeitnehmer sieht sich in seinem Recht auf privates Leben und Korrespondenz verletzt. Er ist der Überzeugung, dass die Gerichte bisher den Schutz dieser Rechte, welche auch aus Art. 8 EMRK entspringen, bisher nicht genügend Gewichtung und Berücksichtigung gefunden haben.
Hintergrundinfo:
„Art. 8
Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“
Unter Art. 8 lassen sich wie der Wortlaut zeigt der Schutz von vier Rechten – das Privat- und Familienleben, das Recht auf Wohnung und der Schutz der Korrespondenz – zusammenfassen. Der Schutz des Privatlebens umfasst mehrere Teilaspekte, wobei die Autonomie des Menschen und ein Recht auf Selbstbestimmung im Zentrum der Garantie stehen.
Wie legt der EGMR Art. 8 EMRK aus?
Der EGMR sieht in Art. 8 EMRK ein allumfassendes Recht auf ein Privatleben, dazu zählt auch das soziale Privatleben. Dieses muss nicht nur hinter verschlossenen Türen gelebt werden. Für die Entwicklung und Erhaltung eines sozialen Privatlebens ist der Umgang mit anderen, insbesondere auch am Arbeitsplatz wichtig und förderlich. Ebenso subsumiert das Gericht auch die Korrespondenz (wie beispielsweise Telefonate oder E-Mail-Verkehr) unter Art. 8 EMRK, da diese auch eine Ausprägung des Privatlebens ist. Das Gericht stellt im weiteren Verlauf des Urteils ebenfalls fest, dass es sich bei der Benutzung eines Messengers auch nur um eine weitere Ausprägung der Korrespondenz der heutigen Zeit handelt.
Welches Problem sieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Verhalten des Arbeitgebers?
a. Als besonderes Problem stellt das Gericht hervor, dass die Arbeitnehmer zwar auf das Verbot der privaten Nutzung auf verschiedenen Wegen hingewiesen wurden, dass die Überwachung, der Umfang der Überwachung und die damit verbundene unmittelbare Erfassung der Arbeitnehmerdaten (Monitoring) vom Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer nicht angezeigt wurde.
Der Arbeitnehmer wurde über die Überwachungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber nicht informiert und wusste somit auch nicht, dass dieser Einblick in die Inhalte seiner Kommunikation hat. Zusätzlich wurde der Messenger-Account von dem ehemaligen Arbeitnehmer selbst angelegt, sodass auch nur er den passwortgesicherten Zugang hatte.
b. Das Gericht führt weiter aus, dass es keine europarechtliche einheitliche Regulierung für die private Kommunikation am Arbeitsplatz gibt.
Insbesondere in Bezug auf das Internet und die Möglichkeiten der Überwachungen, sind schnelle Weiterentwicklungen nicht auszuschließen. Um ein willkürliche Handeln auszuschließen, sollte der Verhältnismäßigkeit und bestimmten Verfahrensgarantien mehr Berücksichtigung zukommen. Bei streitigen Fällen sollten die inländischen Behörden folgende Abwägungen und Faktoren berücksichtigen.
c. Um Art. 8 EMRK konform anzuwenden, sollte der Arbeitnehmer über die Natur der Überwachung und Datenerfassung durch den Arbeitgeber im Vornherein informiert werden. Das Gericht schlägt ebenfalls vor, dass zwischen dem Verlauf der Kommunikation und dessen Inhalt eine Unterscheidung vorgenommen werden sollte. Es sollte einkalkuliert werden, ob die gesamte Kommunikation oder nur Teile überwacht und erfasst werden, ebenso ob eine zeitliche Beschränkung vorliegt und die Anzahl der Leute, die Zugang zu den Ergebnissen der Datenerfassung und Überwachung haben, sollte beschränkt werden.
Da es sich bei der Überwachung und Datenerfassung um eine invasive Methode handelt, sollte der Arbeitgeber eine gewichtige Rechtfertigung für diesen Eingriff haben. Es sollte auch stets geprüft werden, ob es weniger aufdringliche Methoden gibt, als direkt auf den Inhalt der Arbeitnehmer-Kommunikation zuzugreifen. Die Konsequenzen und die Verwendungen der Ergebnisse der Überwachungsmaßnahme sollen vor dem Arbeitnehmer nicht geheim gehalten werden. Es muss insbesondere geklärt werden, ob das vom Arbeitgeber verfolgte Ziel mit der Maßnahme erreicht wurde. Schutzmaßnahmen für den Arbeitnehmer sollen geschaffen werden, insbesondere wenn es um den Inhalt der Kommunikation geht und der Arbeitnehmer über die Maßnahme nicht informiert wurde. Die Informationen bezüglich der Überwachungsmaßnahmen sollten wiederholend stattfinden, um wirkungsvoll zu sein. Arbeitsbeziehungen basieren auch auf gegenseitigem Vertrauen.
Dem Arbeitnehmer sollte es durch die inländischen Behörden auch möglich sein, auf ein Rechtsmittel zuzugreifen, dass die oben aufgezeigten Kriterien prüft und die Legitimität der Maßnahme bewertet, bevor ein gerichtliches Urteil gefällt wird.
Das Gericht erklärt weiter, dass es sich um eine Abwägung zwischen den Rechten des Arbeitnehmers bezüglich des Respekts seiner Privatsphäre auf der einen Seite und den Rechten des Arbeitgebers bezüglich der eingeschalteten Datenüberwachung, den dazugehörenden disziplinarischen Befugnissen und dem damit verbundenen reibungslosen Ablauf im Unternehmen. Für diesen reibungslosen Ablauf im Unternehmen kann der Arbeitgeber Überprüfungsmechanismen einführen, um zu überprüfen, dass die Arbeitnehmer ihren vertraglichen Pflichten adäquat und mit der notwendigen Gewissenhaftigkeit nachkommen.
Was beanstandet das Gericht beim Arbeitgeber und bei den Urteilen der gerichtlichen Vorinstanzen?
Im vorliegenden Fall wirft das Gericht dem Arbeitgeber insbesondere vor, dass der Arbeitnehmer über die Überwachungs- und Datenerfassungsmaßnahmen im Vornherein überhaupt nicht informiert und aufgeklärt wurde.
Aufgrund dessen wurde der Arbeitnehmer auch nicht über den Umfang und die Vorgehensweise der Maßnahmen informiert.
Ebenso wirft der EGMR den vorigen Instanzen vor, dass nicht einmal eine Prüfung erfolgt ist, ob die Maßnahme aus zulässigen und rechtfertigenden Gründen vorgenommen wurde.
Die Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt, so der Große Senat des Gerichtshofs.
Der Arbeitgeber kann nicht überzeugend darstellen, welches Ziel er mit der Überwachungs- und Datenerfassungsmaßnahme erreichen und für welches Ziel er auch die notwendige Rechtfertigung vorbringen kann. Ebenso werden weniger stark eingreifende Maßnahmen und somit angemessenere Alternativen von vorigen Instanzen nicht ins Auge gefasst.
Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterlag der ehemalige Arbeitnehmer auch der schwerstmöglichen Folge, die als disziplinarische Maßnahme vorgenommen werden kann.
Der EGMR im großen Senat geht somit davon aus, dass bei den vorigen Instanzen Fehlentscheidungen getroffen wurden und die Abwägung der Interessen zur sehr zu Lasten des Arbeitnehmers vorgenommen wurden.
Wie lautet das Ergebnis der Prüfung?
Der EGMR geht somit mit von einem Verstoß gegen Art. 8 EMRK aus.
Exkurs: Abweichende sechs Meinungen innerhalb des Großen Senats
Einige Richter hielten einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK nicht für gegeben. Sie argumentierten insbesondere damit, dass der ehemalige Arbeitnehmer mit einer Überwachung und Datenerfassung aufgrund der wiederholt ausgesprochenen Verbote und Erinnerungen rechnen konnte. Ebenso sehen sie die Abwägung der Interessen von den vorigen Instanzen als richtig abgewogen. Das Interesse des Arbeitgebers, an einem reibungslosen Ablauf seines Unternehmens, darf nicht zu gering gewichtet werden.
In diesem Interesse sehen die Richter der Gegenansicht auch das Argument für die Legitimität der Maßnahme. Insbesondere da der Arbeitgeber auch eine gewissen Kontrolle gegenüber seinen Arbeitnehmern ausführen kann und darf, damit das Unternehmen problemlos läuft. Ebenso weisen die Richter daraufhin, dass es sich in diesem Fall auch um eine zeitlich begrenzte Maßnahme handelte. Aufgrund dieser Erwägungen kommen sechs der 17 Richter zu dem Ergebnis, dass keine falsche Entscheidung in Bezug auf die Rechte des Privatlebens und der Korrespondenz gab und somit auch kein Verstoß gegen Art. 8 EMRK vorliegt.
Wie ist die Rechtslage nach der BAG Rechtsprechung in Deutschland?
- In Deutschland gab es vom BAG zu diesem Thema auch bereits eine ähnliche Entscheidung. Der Einsatz eines Software-Keyloggers – welcher heimlich sämtliche Tastatureingaben festhält und Screenshot aufnimmt – ist gem. § 32 Abs. 1 BDSG unzulässig, wenn kein auf den Arbeitnehmer bezogener, durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht besteht, dass eine Straftat oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung vorliegen könnte.
Solche unzulässig erworbenen Erkenntnisse dürfen im gerichtlichen Verfahren auch nicht verwertet werden.
Auch das BAG ging von einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus, welches einen Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt (gem. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Das BAG begründete den Verstoß gegen § 32 BDSG aufgrund mangelnder Verhältnismäßigkeit. Insbesondere die Legitimität der Maßnahme spielte auch bei der Entscheidung des BAG (Urteil vom 27.07.2017, AZ: 2 AZR 681/16) eine sehr wichtige Rolle.
- Ein etwas anders gelagerte Fall liegt beim BAG (Urteil vom 22.09.2016, AZ: 2 AZR 848/15) vor. Hier wurde eine verdeckte Videoüberwachung und ein Zufallsfund nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG als zulässig erachtet. Die Abwägung nach einem milderen Mittel muss auch in diesem Zusammenhang getroffen werden.
- Falls der Arbeitgeber den konkreten Verdacht von strafbaren Handlungen oder ähnlich schwerewiegenden Verstößen hat, kann eine verdeckte Videoüberwachung als praktisch einzig verbleibendes Mittel eingesetzt werden und ist in diesen Ausnahmefällen nicht unverhältnismäßig.
Bewertungen und Konsequenzen aus dem Urteil
I. Konsequenzen für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer
- Was sollten Arbeitgeber in Zukunft tun, um nicht in Konflikt mit Art. 8 ERK zu geraten?
a. Um sich gut abzusichern und die Balance zwischen dem Recht auf Privatleben und Korrespondenz des Arbeitnehmers auf der einen Seite und auf Arbeitgeber-Seite das Kontrollrecht und das damit verbundene Recht auf einen reibungslosen Ablauf im Unternehmen, sollten unternehmensinterne Regelungen und Informationen weiterhin getroffen und verteilt werden.
b. Solange der Arbeitgeber eine legitime Rechtfertigung für die Datenerfassung und Überwachung nachweisen kann, ist ein Eingriff in Art. 8 EMRK, bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Schutznormen aus dem BDSG gegenüber dem Arbeitnehmer möglich. Man sollte allerdings nur bei wirklich konkretem Verdacht die heimliche Überwachung in Erwägung ziehen.
c. Der Arbeitgeber muss für die Überwachung und Datenerfassung nicht nur eine gute Begründung liefern können, sondern diese auch vor der Maßnahme gegenüber dem Arbeitnehmer anzeigen.
d. Im Übrigen sollte dieser schwerwiegende Eingriff mit anderen milderen Mitteln stets sehr sorgfältig abgewogen werden. Ein so exzessives Ausnutzen des Kontrollrechts des Arbeitgebers stellt mit Sicherheit auch einen Angriff auf das im Idealfall bestehende Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber dar.
- Was soll von Arbeitnehmern in Zukunft erwartet werden?
Der Arbeitnehmer sollte vertragliche Zusatzvereinbarungen und Klauseln im Arbeitsvertrag tatsächlich zur Kenntnis nehmen und auch einhalten. Ein Verbot der privaten Internetnutzung ist weiterhin möglich und Verstöße dagegen stellen immer noch eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses dar, dies sollte der Arbeitnehmer nicht außer Acht lassen.
II.Rechtliche Bewertung des Urteils
- Die besondere Betonung der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Schutz des sozialen Privatlebens durch den Gerichtshof ist zu begrüßen.
- Die Verteidigung des allumfassendes Recht auf ein soziales Privatleben, das nicht nur hinter verschlossenen Türen gelebt werden, sondern auch am Arbeitsplatz gelebt werden kann, ist sehr zu begrüßen. Es zeugt von großem praktischem Verständnis des Gerichtshofs, dass auch die Korrespondenz am Arbeitsplatz (wie beispielsweise Telefonate oder E-Mail-Verkehr) unter Art. 8 EMRK fällt, da diese auch eine Ausprägung des Privatlebens ist
- Nach diesem Urteil ist der Arbeitnehmer weniger gläsern gegenüber seinem Arbeitgeber. Der Datenschutz und die Grundrechts sind Gewinner dieses Urteils.
- Der große Senat des Europäischen Gerichtshofs hat der Freiheit des Individuums in Europa und dem Arbeitsrecht einen großen Dienst erweisen.